Fluchen und Reden
Sprache im Piestingtal
Von: Adi Michel | 21. März 2021, 18:49
In unserem Tal gab es zwei markante Dialekt: den aus Miesenbach (eng verwandt ist mit dem Puchbergerischen) - und den aus Dreistetten (Dreistetten tendiert eher in die Neue Welt). Beide Mundarten sind am Aussterben...
Sprache im Piestingtal
Bis Ende des 20. Jahrhunderts war für die meisten Leute unseres Gebiets Deutsch die erste Fremdsprache, die man erlernte (oder auch nicht). Dementsprechend lustig und stilblütenverseucht klang es, wenn sie diese benutzten.
Als ich 1975 als Volksschullehrer in Gutenstein wirkte, erkannte ich Dialektunterschiede zwischen dem Klostertaler und dem Längapiestinger, dem Vorderbrucker und dem Mariahilfberger, und der Markt Gutensteiner sprach anders als der Steinapiestinger. Als ich 1982 zum zweiten Mal dort unterrichtete, waren diese Unterschiede spurlos verschwunden und man redete allerorts dasselbe Mischmasch aus Wienerisch plus ein paar ländlichen Ausdrücken. Nächste Lehrerstation war Pernitz. Miesenbach schien der große Rettungsschimmer zur Erhaltung des bodenständigen Mundart. Ja, aber nur so lange sie eine eigene Schule hatten! Nach und nach verschwand das Miesenbäckerische. Einige wenige Enklaven gibt es noch, der Rest redet Einheitsbrei.
Dann kam ich an die Schule nach Piesting. Der einzige, der im Schulgebäude Dialekt sprach, war der Lehrer aus Pernitz! Halt! Die Dreitstettner waren noch da mit ihrem breiten Singsang! Herrlich! Aber auch nicht mehr lang. Als ich in die Pension ging, sprach der gesamte Schulsprengel Seifenoper-Synchronisations-Deutsch! Man hörte „Prima!“, „Erste Sahne!“, „Lecker!“, „Tomaten!“ und „Denkste!“… Selbst die Kinder der „gscheadast´n Ruam“ sprachen akzentfreies Deutsch!
Ich schweife ab. Neusiedl hatte schon in meiner Kindheit kein eigenes Idiom. Vielleicht, dass ein paar alte, ehrwürdig Ergraute noch ein paar Vokabel im Talon hatten, aber an die kann ich mich nicht erinnern.
Was aber noch blühte, war der allgegenwärtige 2. Konjunktiv! Der kommt heute den Schulkindern komisch vor. Im Großen und Ganzen waren es hauptsächlich die Hilfszeitwörter „haben“, „sein“ und werden“, die im Konjunktiv verwendet wurden, aber auch andere Verba waren im Gebrauch – wenn auch seltener. „Glaubst d´, der kamat rechtzeitig?“ – „Stö da vua, der foahrat noch Wien, wos des fia an Bahö gebat!“ und so weiter.
Aber zurück zu den Hilfszeitwörtern!
„I warat jetz´ do!“. Warum sagte man nicht „I bin jetz´ do!“? Nein! Da ist sehr wohl ein Unterschied. „I bin jetz´ do!“ bedeutet eine gefühllose Feststellung. „I warat jetz´ do!“ ist eine Aussage von Romanlänge. Na ja, etwas übertrieben. Was heißt das tatsächlich auf Schriftdeutsch? „Mein lieber Freund, schenke mir kurz Beachtung! Ich hab´ mich auf den Weg hierher zu dir begeben und bin eventuell bereit Bitten oder Forderungen deinerseits nachzukommen, wenn es mir beliebt.“ Also nichts Endgültiges liegt in dieser Diktion! Der schlaue Bauer, Handwerker, Arbeiter, aber auch Schüler des 20. Jahrhunderts legte sich nicht hundertprozentig fest!
Üben Sie selber! Was muss man sich unter „Hädast d´ muag´n Zeid?“ vorstellen? Was unter „I wurdat do gaunz wurlat, waunn des mia passierat!“?
Der Schluss liegt nahe, dass wir seinerzeit in einer Möglichkeitswelt gelebt haben. Zumindest hatten wir immer eine Ausrede parat – wir haben ja nur im 2. Konjunktiv zugesagt.
Und da gab (und gibt) es noch das G´wirx mit de Fälle! Der Dialekt kennt oft keine Unterscheidung zwischen Dativ und Akkusativ (3. und 4. Fall). „I hüf eahm“ (Dativ). „I siach eahm“ (Akkusativ) haben eine idente Endung! Wie sollen da die Vorstadtkinder Hanse Krankl und Schneckerl Prohazka bei der Übersetzung ins Hochdeutsche den richtigen Artikel erwischen?! Genau so ist es bei manchen Präpositionen (Vorwörtern); zum Beispiel bei „bei“ oder „mit“. „Bei de oiden Röma woa des no gaunz aundas.“ – „Frira samma mit de Rohra in Pernitz in d´ Haupschui gaungan.“ In der Mundart fehlerlos, in der Translation grottenschlecht aber gepflogen! („Bei die alten Römer war das noch Gans anders.“ - „Früher besuchten wir noch gemeinsam mit die Kinder aus Rohr die Hauptschule.“)
Manche Endungen werden auch versteckt. „Wia geht ´s da mit dein´ Schwiegavodan, kummt ´s ehs zwa eh aus mitanaunda?“ „Da“ ist nicht erkennbar als Pronomen, bei „dein´“ lässt man die Fallendung weg und „ehs“ ist überhaupt nicht als Wort identifizierbar! Geschweige denn als Pronomen! Und das soll der Huber Poldi bei einem Aufsatz alles beherzigen!!!
Ich hab als gewissenhafter Deutschlehrer jahrelang mit allen möglichen und unmöglichen Methoden versucht die „dem“- und „den“-Schwäche vieler Schüler auszumerzen. Nach zwei Jahrzehnten musste ich zur Erkenntnis gelangen, dass sich die Fehler angehäuft haben, statt dass sie dezimiert worden wären. Als ich aufgab, verwendeten schlagartig die meisten Kinder wieder den richtigen Fall. Eigenartig aber wahr! Ich hab das nie wieder geübt!
Das Imperfekt (Präteritum) ist in der Umgangssprache nicht existent. Nicht einmal unsere heutige hochdeutsche Jugend sagt „Ich fuhr gestern nach Neustadt.“ Man nutzt seit Jahrhunderten das Perfekt – „Ich bin gefahren.“ Wie aber soll, wenn man immer in der falschen Zeit redet, das kleine elfjährige Zwutschkerl plötzlich die 2. Stammform von „heben“, „schieben“ oder „schwören“ kennen?! Darum hebte, schiebte und schwörte es nach 90 erfüllten Jahren sein Leben lang. Und kein Wunder, dass sich die Schüler beim „echten“ 2. Konjunktiv („er stünde“, „sie lögen“ oder „ihr verlöret“) zerkugeln und reihenweise zerwuzeln!
In vielen österreichischen Gegenden fungiert der Familienname als Vorname. Niemand sagt „Die Anni Wöhrer!“ sondern „die Wiehrer Antschi!“. Und mag die Ludmilla Müller noch so oft gut verheiratet sein, für ihre Altersgenossen bleibt sie ewig die Pospischil Milli.
Und da gab es noch „de Fräun“. De Fräun war nicht despektierlich! De Fräun war eine in Ehren ergraute alte Jungfer. Es gab Zeiten – nein, lieber Leser, auch noch nach dem 2. Weltkrieg -, wo den Lehrerinnen mehr als empfohlen wurde ein Zölibat einzugehen! Ich kann mich noch an die allseits geachtete, zierliche und immer adrett gekleidete „Biener-Fräun“ erinnern – eine pensionierte freundliche Lehrerin.
Sehr schade, dass das Fernsehdeutsch die Umgangssprache verdrängt hat. Denn seit jeher war die Hochsprache die sterile und vorgegebene Struktur der Verständigung. Die lebendige und ausdrucksstärkere Form war immer der Dialekt!
Übersicht:
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Bundesland:
Niederösterreich
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