Fluchtgeschichten, Familiengeschichten

Flüchtling aus Znaim

Von: Gunda | 27. März 2025, 17:57

Augusta ist als Flüchtling aus Znaim im Haus meiner Großeltern in Hollabrunn aufgenommen (20.7.1945 bis 8.4.1946), so wie russische Offiziere. Sie schreibt meiner Mutter nach Wien, wo diese gerade studiert. Rund 200 Briefe 1945 - 1957 sind erhalten.

5.3.1946

Liebste Nora!

Wieder einmal befinde ich mich in einer verzweifelten Lage! Mein Antrag um die „Alliierte Ausreisebewilligung“ wurde wegen meiner Parteizugehörigkeit am 1.3. abgelehnt und mir sagen gelassen, ich sollte mich dem großen Abtransport der Flüchtlinge anschließen und dann in der amerikanischen Zone aussteigen und zu meinem Mann fahren. Auf solch abenteuerliche Fahrt kann ich mich nun aber nicht einlassen, wer sagt mir, dass ich über Linz komme und dann auch die Möglichkeit habe, dort irgendwo auszusteigen? So kannst Du Dir meine Lage vorstellen; wieder war ich so knapp am Ziel und nun scheiterte hier wieder alles aus diesem Grunde. Ich war mehr als vernichtet und habe alles dann in schlaflosen Nächten erwogen, was da noch zu machen wäre und kam dann nach Beratungen mit Deinen lb. Angehörigen, ebenso mit Dr. Jilly zu dem Entschluss, die Sache vorderhand ruhen zu lassen und um einen Aufschub zur Aufenthaltsbewilligung für Hollabrunn anzusuchen, damit ich wenigstens noch Zeit gewinne und nicht mit dem Transport wegmuss. Dieses Gesuch wurde nun heute Vormittag beim Bezirkshauptmann abgegeben – ich schilderte meine Krankheit, verwies darauf, dass ich noch weiter in ärztlicher Behandlung bin und dass mir jede Veränderung schaden würde, kurzum alles, wie mir Dr. Jilly geraten hat – und so schwebe ich weiter in großer Sorge, wie nun die Erledigung ausfällt. Zur Ruhe komme ich nur auf keinen Fall eher, als bis ich eine Verlängerung bewilligt habe. Zuerst wollte ich zum russischen Kommandanten gehen und persönlich um die Ausreisebewilligung bitten, dann versuchte ich noch das zuerst, um wenn es nicht gelingen sollte, noch dieses letzte offen zu haben. Das sind aber nun meine allerletzten Möglichkeiten, dann bin ich am Ende; halte mir bitte ganz fest die Daumen!
Dabei bekam ich heute nach 23 Tagen endlich ein Schreiben meines Mannes, in Urfahr aufgegeben, worin er mir mitteilt, dass er – vermutlich infolge den gespannten politischen Atmosphäre Bahn und Post in unserem Gebiet eingestellt! – seit Nr. 13 v. 26.1., keine Post mehr von mir bekommen hat; wir sind also somit ganz außer Kontakt geraten, ich schreibe nachher schon Nr. 24, gab dazwischen 2 Telegramme auf und er bekommt nichts. Der heutige Brief von ihm ist vom 24.2.; dazwischen fehlen 5 Briefe heraus, die vielleicht von Wichtigkeit wären. Also Nora, mehr als trostlos! So sehe ich die allernächste Zukunft mehr als schwarz, denn wenn nun die Post versagt, werde ich zum Schluss auch wieder mit meinem Mann entzweit. Ich habe solche Angst in mir, eine große Unruhe, wie nun entschieden wird! So bescheiden bin ich nach all dem wieder geworden, dass ich also schon mit dem bloßen Bleiben in Hollabrunn sagen wir bis Mai, zufrieden wäre, obwohl ich so gerne schon bei meinem Mann wäre, aber nur nicht mit dem Transport wegmüssen, davor zittere ich! Über mir schwebt nun aber das Schwert des Damokles, ein fürchterliches Gefühl!
So habe ich Dir wieder mein Herz ausgeschüttet; weißt Du einen Rat? Da Frau Gürlich zu Dir geht, übersende ich trotz allem meine Schuhe und 20 Zigaretten. Vielleicht könnte sie mir selbe – bereits besohlt! – wieder mitbringen. Wär es möglich? Denn wenn ich rasch wegmüsste, wer weiß ob ich Gelegenheit hätte, sie bei Dir abzuholen? Ich weiß, Du wirst das möglichste in dieser Sache tun, wenn es nicht so rasch geht, dann bleiben die Schuhe halt bei Dir. Noch habe ich eine Galgenfrist und vielleicht bekomme ich doch einen Aufschub. Gott gebe es!
Neuigkeiten gibt es außer der einen, dass der Oberleutnant ohne Verabschiedung!! gestern Abend ins neue Quartier auf Nr. 20 übersiedelte, keine. Ich bin diesmal auch so nicht in Stimmung; aber danke ich Dir noch für die Besorgungen, die Du für mich machtest und bitte besorge das noch mit den Schuhen. Sobald ich die Erledigung habe, verständige ich Dich. Bis dahin liebste Nora, recht herzliche Grüße von
Deiner Gustl.

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