Besatzungsmächte , Wiederaufbau und Staatsvertrag

Besatzungszeit in Baden und Abzug der Russen 1955

Von: Brigitte Scharinger | 25. April 2025, 14:06

Arbeit bekamen nur Mitglieder der kommunistischen Partei; bei den Wahlen wagte niemand, in die Wahlkabine zu gehen, weil der Betriebsrat klar machte, was er von einer geheimen Wahl hielt. Der Abzug der letzten Soldaten verlief völlig unspektakulär.

Baden war, als ich mit 5 Jahren 1947 dorthin kam, von den Russen besetzt und es befand sich dort das Hauptquartier der russischen Besatzungsmacht. Die Menschen hatten Angst vor den Besatzern und diese Angst war auch für so ein kleines Kind für mich einfach spürbar. Viele der schönen, alten Villen, waren von Russen besetzt und die ursprünglichen Bewohner hatten Glück, wenn sie in 1 Zimmer bleiben konnten und nicht einfach rausgeschmissen wurden.

Mein kindliches Verständnis der Welt war einfach: „Es gibt Russen und Österreicher und die Österreicher müssen tun, was die Russen wollen.“

Die Angst vor den Russen war immer da – vor Kindern wurde über Politik nicht gesprochen, zu groß waren die Ängste, dass man sie in der Schule ausfragen konnte.

Arbeit gab es nur, wenn man Mitglied in der kommunistischen Partei war. Dann musste man auch die Zeitung „Volksstimme“ abonnieren. Zum Kassieren der Abo-Gebühr wurde ein Parteimitglied verpflichtet und man konnte nie wissen, ob dieser Kassier Parteimitglied aus Überzeugung war oder nur dabei war, um arbeiten zu können. Und so wurde gezielt Misstrauen unter die Bevölkerung getragen.

Gut erinnere ich mich an eine Wahl in der Fabrik, in der mein Stiefvater arbeitete.
Im Betrieb wurde ein Büro zur Wahlzentrale eingerichtet, es gab Wahlzettel mit den Namen der zu wählenden Personen/Parteien und eine Wahlkabine mit einem Vorhang, in der man sein Kreuz auf dem Wahlzettel unbeobachtet machen konnte. Theoretisch. Als sich die Arbeiter zur Wahl einfanden und der erste in Richtung Wahlkabine schritt, rief der Betriebsrat laut und drohend: „Wer braucht schon eine Wahlkabine? Ein guter Kommunist weiß, wo er sein Kreuzerl machen muss, da braucht er sich nicht zu verstecken“. Natürlich traute sich niemand, die Wahlkabine aufzusuchen und so war das Ergebnis der Wahl wie erwartet: 100 % wählten die Kommunisten!

Am 15. Mai 1955 fand in Baden das traditionelle Motorradrennen statt. Die Maschinen brausten mit Höllenlärm die Helenstraße hinauf und die Weilburgstraße wieder hinunter. Dieses Spektakel zog jährlich viele Schaulustige an, und auch ich stand mit Freundinnen an diesem schönen, sonnigen Tag am Rand der Straße. Obwohl kein Unfall passiert war, ging plötzlich eine Aufregung und Unruhe durch das Publikum. Die Erwachsenen riefen einander zu: „Der Staatsvertrag ist unter-
schrieben!“ Die Schwester einer Freundin, die mit ihrem Verlobten neben uns stand, erklärte uns die Bedeutung mit einfachen Worten: „Die Russen ziehen ab!“ Diese Sensation verstanden auch wir Jugendlichen. Es schien so unglaublich, wurde aber in den folgenden Wochen immer wiederholt und in der Wochenschau im Kino als wahr hingestellt.

In den ersten Wochen nach Schulbeginn mussten wir öfter klassenweise bei offiziellen Terminen erscheinen. Es ging um Versicherungen der Freundschaft zwischen Österreichern und Russen und um höchst langweilige Abschiedsfeiern. Ich glaubte immer noch, dass etwas dazwischenkommen würde. ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass die Russen wirklich endgültig und vollständig abziehen würden. Zu Hause, in der Schule und im Freundeskreis wurde über Politik überhaupt nicht gesprochen.
Dann hörte ich, dass die letzten Russen am 19. September vom Frachtenbahnhof Pfaffstätten am Nachmittag abfahren würden. Pfaffstätten ist nur einige Kilometer von Baden entfernt und ich schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr zum Frachten-bahnhof. Außer mir waren nur einige Erwachsenen anwesend, eine kleine Abordnung der Badener Jungkommunisten stand etwas verloren auf dem Bahnsteig.

Die offiziellen Abschiede waren schon alle erledigt und so kam nur ein kleiner Trupp russischer Soldaten angefahren und stieg sang- und klanglos in den Zug. Die Jungkommunisten winkten einem jungen Soldaten zu, nochmals aus dem Zug auszusteigen und in Ermanglung von Sprachkenntnissen bedeuteten sie ihm gestenreich, dass man zur Erinnerung die roten Halstücher tauschen wolle. Der Führer der Jungkommunisten band sein rotes Halstuch dem Soldaten um und der Soldat band seines dem Österreicher um. Nach dem Tausch sahen sie beide aus wie vor dem Tausch.

Ich stand in der Nähe, beobachtete alles mit großen Augen. Dann ertönte ein Pfeifsignal, der junge russische Soldat sprang in den Zug, winkte nochmals kurz – und dann setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Ich erwartete jeden Moment, dass er stehenbleiben und zurückfahren würde, aber er fuhr immer weiter, bis er in der Ferne verschwand.

Ich war verwundert, wie unspektakulär dieses Ende der Besatzungszeit ablief und spürte ein ungeheures Glücksgefühl in mir aufsteigen. Jetzt erfüllten sich auch für mich die Worte, die bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages gefallen waren:

„Österreich ist frei!“

Umgebungskarte "Besatzungsmächte "

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