Heimkehrer, Frauen, Mütter, Kinder
Zurück in die alte Heimat
Von: Renate Scherr | 27. März 2025, 12:01
Aus den Aufzeichnungen meiner Mutter Renate Scherr, née Wagner, 1927-2021.
Nach der Flucht aus einem kath. Erziehungsheim bei Laupheim und die Rückkehr in die "Heimat".
-- Kriegsende --
Eines Tages wurden wir Österreicher zusammen-getrommelt und ab nach Hause geschickt. Ich hatte den Eindruck, in einem Viehwaggon zu sitzen. Es war so ein komisches, bläulich gleißendes Licht. Ich weiß nicht mehr, wie man das nannte.
Wir Österreicher wurden zusammengetrommelt und mit dem Zug nach Hause geschickt. Wie ich mich darüber freute!
In der Heimat angekommen, gab es keine Begrüßung für mich, nur Enttäuschungen am laufenden Band.
Zu Hause in Knappenberg hat mich meine Stiefmutter erst einmal fragend angeschaut und sagte dann: „Was willst Du hier? Das ist nicht mehr Dein Zuhause! Ich bin von Deinem Vater geschieden. Du kannst eine Nacht hier schlafen, aber morgen musst du verschwinden!“ Ich wusste nicht, wie und was mit mir geschah. Ich ging am nächsten Tag zum Bahnhof nach Hüttenberg und kaufte mir eine Fahrkarte nach Unzmarkt. Koffer und Habseligkeiten hatte ich mit. Vor Unzmarkt löste ich vor Verzweiflung die Sicherheitsstange am Ausstieg und ließ mich fallen.
Ich hatte wohl einen immens guten Schutzengel oder 100, ansonsten wäre alles anders gekommen. Denn ich bin zwischen die Geleise gefallen. Wäre es anders gewesen, wäre der Gegenzug über mich hinweggebraust und von mir wäre wohl nichts geblieben. Doch der Gegenzugsführer hat mich liegen gesehen und alles veranlasst, mich am Leben zu erhalten. Ich kam nach Friesach in Spital, wo mir geholfen wurde und ich gesund gepflegt wurde.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus machte ich mich auf die Suche nach meinem Vater. Die Bergarbeiter waren von Knappenberg nach Köflach in der Steiermark überstellt worden - auch Bergbau, aber Kohle - und durften turnusweise alle sechs Wochen nach Hause fahren. Ich suchte ihn im Burschenhaus in Pichling, aber er lebte mit einer Frau in Köflach Ostsiedlung zusammen.
Diese Frau war über mich nicht erfreut. Mein Vater eröffnete mir, dass ich nicht bleiben könne: „Denn wir haben keinen Platz für Dich, denn wir gehen alle beide arbeiten.“ So stand ich wieder vor 6 Uhr früh auf der Straße. Ohne Geld und Bleibe. Vor einem Scherbenhaufen meines Lebens und dachte mir …., aber ich sagte dazu NEIN, das mache ich nie mehr. Ich wollte meine Schutzengel nicht enttäuschen.
Da sprach mich ein junger Bursche auf meinen Gemütszustand an, und ich erzählte ihm, was mir passiert war. Er wohnte nur einige Straßen weiter von meinem Vater. Ich tat dem Jungen leid, und er nahm ich mit zu seinen Eltern, die mir kostenlos Unterkunft gewährten.
Ich war dann immer auf dem Kohlensturz im Karlschacht beim Kohlenklauben zu finden. Privatpersonen war das erlaubt. Ich stand im Oktober knietief im Schlamm, wo ich die Kohlentrümmer herausholte und freute mich, dass ich Geld verdienen konnte.
Doch weit gefehlt! Ich hatte zwei Lastwagen Kohle zusammen, welche der gute Junge verschacherte. Die Kohle in Graz. Um gutes Geld, und ich ging leer aus.
In dieser Zeit kam ein junger Mann auf mich zu und sagte zu mir: „Du bist so fleißig, wir sollten uns zusammentun.“ Er wohnte in der Nähe meines Vaters in der Ostsiedlung. Er hatte ein kleines Zimmerchen bei seinem Vater und seiner Stiefmutter, die nicht erbaut davon war, mich dabei zu haben.
Damals gab es Lebensmittelkarten. Sie kaufte für die ganze Woche die Karten leer. Ich kochte Bohnen ohne Fett und anderes. Und wurde in der ganzen Siedlung ausgerichtet, dass ich nicht kochen könne.
Wir bekamen zwei Söhne, den Kurt und den Gerald. Mein Mann verdiente in der Braunkohlegrube ca. 300 Schilling, aber wir mussten oft Vorschuss nehmen, da es hinten und vorne nicht langte. Ich weiß bis heute nicht mehr, wie und mit was ich die Kinder versorgte.
Sein Vater zog dann aus, eine andere Familie ein, die uns öfter mit Essen versorgte. Die waren sehr lieb zu uns. Wir wohnten vier Personen in einem 3 x 2 m großen Raum, zwei Kinder im Gitterbett und wir zwei in einem Bett, ein kleiner Tisch, ein kleiner Sparherd. Das war unsere Welt. Das Klo im Parterre, und das Wasser musste ich vom Keller holen.
Ich hoffte immer auf bessere Zeiten. Und die kamen. In Gestalt eines etwas jüngeren Mannes, in den ich mich sofort verknallte. Er war Grubenelektriker und sehr tüchtig. Auch musste er heraußen bei Wind und Wetter auf die Masten kraxeln.
Seine Frau Mutter hat ihn immer mit Essen versorgt. So gut, dass er es mir und meinen Kindern gab. Mein damaliger Mann war so vertrauensselig, dass er mir vieles erlaubte. Dieser Junge brachte mir das Schwimmen bei, und ich durfte mit ihm tanzen gehen und so weiter.
Es kam wie es kommen musste, wir ließen uns scheiden. Der Fünfjährige wollte bei seinem Vater bleiben, der Vierjährige bei mir / uns. Und hat es nie bereut, denn er hatte einen sehr guten Stiefvater. Von dem er viel gelernt hat und respektiert wurde und geliebt.
Heute weiß ich, warum ich die Freiheiten hatte, Schwimmen, Tanzen und Ausflüge. Ich zog von der Ostsiedlung weg und von meinem Mann, und meine Nachfolgerin zog in das kleine Quartier ein. Er wurde mit ihr sehr glücklich, bekamen größere Wohnung und zwei liebe Mädels. Leider sind ihre Eltern schon lange unter der Erde.
Ich hatte auch Glück. Ich bekam den besten, gütigsten und einen sehr gescheiten Mann für 59 Jahre.
Doch auch er hatte in seiner Firma viel mit Unannehmlichkeiten und Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Da diese Firma einer bestimmten Fraktion angehörte, mein Mann aber nicht und dementsprechend auch zu keiner Versammlung erschien, war er wohl trotz seiner Tüchtigkeit nicht tragbar. Denn wir hatten kein Parteibuch.
Das übertrug sich auch auf mich. Ich bekam Arbeit in der Glasfabrik in Köflach, war in der Verpackung tätig. Der Meister war sehr zufrieden, ich hatte gute Arbeit gemacht. Doch nur ganze zweimal zwei bis drei Stunden. Dann kam der Meister mit großem Bedauern, sagte mir, er müsse mich nach Hause schicken, da ich krank sei.
Die Mühlen mahlten damals sehr, sehr schnell, denn man wusste im Betrieb meines Mannes schon, dass man mich aufgenommen hatte. Da hatte 100% der Werksarzt die Hand im Spiel. Ich ließ mich in Graz untersuchen. Ich war gesund, Gott sei Dank.
-- Gradenberg (1955) --
Sind von Lankowitz übersiedelt nach Gradenberg. Ein Paradies für Kinder zum Spielen. Mein Sohnemann war begeistert, ein Fluderwasser und eine schöne Gegend. Doch leider war ich mancher Frau ein Dorn im Auge, denn ich war meiner Zeit ein wenig voraus. War die einzige junge Frau mit kurzen heißen Höschen und Stiefelchen. Ich war sozusagen fehl am Platz in dieser Ortschaft.
Ich bekam einen Gerichtsbrief wegen unzüchtigen Verhaltens. Begründung: Ich sei am Fenster gesessen und habe den Kindern meine Genitalien gezeigt. Doch der Richter durchschaute diese perverse Anschuldigung und forderte besagte Zeugen auf, zu zeigen, wie ich es gemacht habe. Doch siehe da, die konnte es nicht. Aber man wollte halt mir damit eins auswischen. Und so ging diese Sache für mich glimpflich aus.
Doch das war nicht alles, denn im Haus wohnte ein gewichtiger Mann - in jeder Weise - und guter Freund der besagten „Zeugin“. Als er mich im Stiegenhaus allein antraf, gab er mir einen Stoß, sodass ich zu Boden ging und hat dann nach mir getreten - im Beisein eines Freundes von ihm.
Es kam zur Gerichtsverhandlung und vorher habe ich diesen Freund gebeten, die Wahrheit zu sagen, wie es wirklich war. Er hat es tatsächlich getan. Mein kleiner Sohn musste allerdings dafür büßen, denn immer, wenn was passierte, war es unser Bub, auch wenn er gar nicht daheim war.
Es war zum Aus-der-Haut-fahren! Was hilft es, in einer schönen Gegend zu wohnen, wenn Menschen so grausam sind. Wir zogen aus, nach Pichling bei Köflach zu einem Bauern. Wir brauchten keine Miete zu zahlen, dafür mussten wir am Feld arbeiten, überall helfen. Es war sehr anstrengend. Unsere winzige Wohnung befand sich über dem Saustall. Das Wasser musste ich im Vorraum vom Haupthaus holen.
Dort wartete schon eine Familie mit Kind auf die Wohnung von uns und das Kesseltreiben gegen uns fing an. Ich war im Krankenhaus und hatte eine schwere Operation und konnte nicht arbeiten. Die andere Frau hatte eine drei oder vier Jahre alte Tochter, die wenn sie mich sah, zu schreien begann „Hilfe, Hilfe, die Tote kommt!“, weil ich beinahe gestorben wäre.
Mein Mann hatte ein Moped, in welches Zucker in den Tank geschüttet wurde, aber in der Dunkelheit auch daneben verstreut wurde.
Als mich die "Passerfamilie" in die Enge trieb, ergriff unser Bub ein Katzenteller und warf es wie eine Flugscheibe gegen den Mann und traf ihn am Daumen.
-- Käseräuber --
Ich schaute zufällig beim Fenster hinaus und bemerkte den Vater des Kindes, wie er sich an einem Obstbaum zu schaffen machte. Glaubte, er verrichte eine kleine Notdurft. Doch weit gefehlt. Er legte uns ein Ei. Anzeige war vorprogrammiert.
Gendarm kam, wir hätten den Obstbaum beschädigt. Mein Mann und Sohn kamen am Abend mit Moped heim und wurden mit Rufen belegt, als Käseräuber beschimpft. Wussten beide nicht, wie ihnen geschah. Angeblich um 10 dekagramm Käse. Wieder Gerichtsverhandlung. Wobei der Bauer und der Wohnungspasser ohne zu zögern einen Meineid schworen.
Der kleine Bub musste auch zu Gericht. Er ist heute ((Anmerkung: 2014)) 64 Jahre alt und spricht noch immer von dieser Ungerechtigkeit.
Als die beiden ihre Hände zum Meineid erhoben, fragte mein Sohn „Wo ist der liebe Gott?“. Das konnten wir ihm leider nicht sagen. Es war, als ob er auf uns vergessen hätte.
Manchmal denke ich, was für Zeiten, die ich hatte. Von Liebe keine Spur. Aber dafür Hiebe. Egal, ob es um Schule ging oder sonst was.
Ich hatte trotz der vielen Widrigkeiten doch Glück im Leben gehabt. Drei gesunde Kinder, zwei Buben und ein Mädchen und 60 Jahre einen netten Mann an meiner Seite und auch liebe Enkel und Urenkel. Und vor allen Dingen eine höhere Gewalt ist mir beigestanden in den schlimmsten Zeiten und hat mich alt werden lassen. Bin fast 90 Jahre jung und liebe das Leben.
Übersicht:
Heimkehrer, Frauen, Mütter, Kinder
Bundesland:
Kärnten
Übersicht:
Gemeinsam erinnern