Versorgung, Familiengeschichten

3. Essen in Kriegs- und Nachkriegszeit

Von: Illi-3 | 22. April 2025, 11:32

Auszuge aus der Geschichte meiner Familie, die ich als Zeitzeuge (geboren 1933) für meine Kinder und Enkel geschrieben habe, um die Lebensumstände in früheren Zeiten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Teil 3.

Bald nach Kriegsbeginn wurden Lebensmittel rationiert. Es gab Reichsnährmittelkarten, Reichsfleischkarten, Reichsfettkarten, Reichsbrotkarten, Reichsmilchkarten, Reichskarten für Marmelade, Zucker und Eier. Mit Kriegsfortschritt wurde es aber immer schwerer, selbst das zu bekommen, was einem per Karte zustand.
Aufgrund der anhaltenden Mangelsituation wurde die Rationierung auch von den alliierten Besatzungsmächten nach Kriegsende beibehalten. Man lernte mit Kalorien zu rechnen, für manche nicht ganz einfach: „I hob no nia Kalorien gessn und bin net varhungert“.) Man war darauf angewiesen, sich zusätzliche „Kalorien“ zu besorgen, sei es im eigenen Garten, durch „Hamstern“ bei Bauern, Abstauben auf Feldern oder durch Schwarzhandel, wobei die „Zigarettenwährung“ eine wesentliche Rolle spielte.

Schwerpunkt unserer Ernährung waren Kartoffeln und Mais. Brot nur aus „schwarzem (Roggen-)Mehl“. Weißbrot lernte ich das erste Mal Ende 1945 kennen, durch die englische Besatzung der russischen nachfolgte. Ich war enttäuscht, denn in meiner Vorstellung hätte Weißbrot süß sein müssen! Das schwarze Mehl wurde zur Herstellung der sogenannten „Einbrenn“ verwendet, mit der damals jedes Gemüse gestreckt wurde, um es ausgiebiger zu machen. Geschmeckt hat es mir nicht, aber ich hatte ja keine Wahl.

Kuchen, wenn überhaupt, backte meine Mutter aus Schwarzmehl, oder aus Mohrrüben oder Kartoffeln. Ich erinnere mich, dass sie mir nach meiner Polypen-Operation kurz vor Kriegsende liebevoll einen machte. Er war trocken und rau, aber ich war begeistert und berührt, und er war für meinen frisch operierten Hals sehr schmerzhaft.
In ganz besonderen Fällen war der Kuchen sogar mit Staubzuger zart bestäubt. Wenn sich dabei ein kleiner Zuckerbrocken bildete, dann erhielt ich den von meiner Mutter als „Extragabe“ in den Mund gesteckt, ein Glücksmoment.

Zucker wurde, soweit zu bekommen, durch Süßstoff, wie Saccharin, ersetzt. Ich musste lernen auf Süßes, wie die geliebten „Zuckerln“, zu verzichten. An echten Bienenhonig kann ich mich nicht erinnern, manchmal bekam man „Kunsthonig“. Einen bescheidenen „Ersatz“ haben wir Kinder entdeckt, zumindest im Sommer: Annähernd süß schmeckende Pflanzen, zum Beispiel die Blüten der Taubnesseln oder auch die allerdings säuerlich schmeckenden Blätter des Sauerampfers.

Milch kannte ich nur als Magermilch. Ich erinnere mich an „falsche Schlagsahne“, als besondere Attraktion bei besonderen Anlässen. Butter ein seltener Luxus, wenn es sie überhaupt gab. Auch hier erinnere ich mich an den gewaltigen Genuss, wenn mir meine Mutter als besondere seltene Gabe ein kleines Stück, ganz blank, ohne Brot, zusteckte, wie ich es ganz langsam im Mund zerrinnen ließ, in winzigen Portionen nach und nach hinunterschluckte. Eine Wonne! Wenn überhaupt, gab es Margarine, an Thea erinnere ich mich, auf Brot meist so dünn gestrichen, dass gerade die Löcher zugeschmiert waren.

Ein dünner „Ersatzkaffee“ aus Gerste oder Eicheln, „Muckefuck“ genannt, ersetzte den vom Markt verschwundenen Bohnenkaffee.

Dank der Früchte unseres Gartens, dank verwandtschaftlicher Unterstützung und dank eingesammelter Früchte aus den Wäldern hatten wir mit Süßstoff selbstgemachte Marmelade. Und um das Wachstum im Garten zu fördern, dienten die „Pferdeäpfel“, die auf den Straßen einsammelte, als Dünger.
Das Suchen und Brocken von wilden Beeren war eine selbstverständliche Tätigkeit für uns Kinder. Leistung an einem langen Tag bis zu 5 Liter Brombeeren oder 16 Liter Schwarzbeeren.

Mein eher als Rostlaube zu bezeichnendes Fahrrad, eingetauscht gegen unseren alten Kinderwagen, war wichtig, um das uns von Verwandten in Bruck geschenkte Gemüse und Obst nach Hause zu bringen. Die Fahrt auf der mit Schlaglöchern übersäten Straße war eine Herausforderung, ohne Gepäckträger, so dass ich das, was es zu transportieren galt, im Rucksack zum Teil auf dem Rücken und zum anderen Teil in einem voluminösen Paket auf der Stange zwischen meinen Beinen hatte, was eine äußerst unbequeme, o-beinige Fahrweise erforderte. Dazu kam noch das dauernde Nachpumpen, denn die Fahrradschläuche hielten die Luft nur kurze Zeit, sie bestanden fast nur noch aus schlecht klebenden Flicken. Und sich noch einen „Patschen“ einzufangen, kam öfters auch noch dazu.

Aus den Wäldern holten wir auch Herrnpilze und Eierschwammerln, ich mit großer Begeisterung. Es waren die seltenen schönen Gelegenheiten, die ich mit meinem Vater verbringen durfte, denn daheim sah ich ihn selten, er war meist, auch sonntags, bei seiner beruflichen Tätigkeit.

Hauptnahrungsmittel war die Kartoffel, jährlich zugeteilt. 1944/45 ein ¾ kg pro Kopf und Woche, also ca. 25 kg für neun Monate, die wir kühl gelagert im Keller halten mussten, in der Hoffnung, dass im nächsten Sommer noch etwas übrig war, außer den nun gewachsenen Trieben. Auch Äpfel wurden über den Winter gelagert, und wenn man Glück hatte, wurden sie nicht ganz verrunzelt oder sogar faul.

Eine Chance, unseren Kartoffelvorrat etwas aufzubessern, lag darin, abgeerntete Felder nach Resten abzusuchen. Ich sehe noch meine Mutter und mich in der Abenddämmerung gebückt dahingehen, den Blick angestrengt auf die Erde gerichtet, um nichts zu übersehen. Man brauchte Geduld und Glück, um fündig zu werden, wobei ein gelegentlicher Griff in ein noch nicht abgeerntetes Feld doch mit einem schlechten Gewissen verbunden war.

Besonders erinnere ich mich auch an das, was wir die „gelbe Gefahr“ nannten, an den Sterz, auch als Polenta, Mais oder als Kukuruz bekannt, man könnte Mais sogar als überlebenswichtiges Lebensmittel einstufen. Meine Mutter war äußerst kreativ, sie setzte den Mais für zahlreiche Speisevarianten ein: Brot aus Maismehl, Suppen, der übliche bröckelige oder auch dünnflüssigen Sterz, manchmal mit Süßstoff gesüßt auch als „Mehlspeise“, alles mehr oder weniger gelb aussehend.

Und hier unser weihnachtliches Festmenü 1945: Gemischter Salat mit Wurst und dunklen Semmeln. Und der Stephanitag wurde mit Ersatzkaffee und falschem Schlagobers begangen.

Außer mit der Lebensmittelkarte konnten Lebensmittel auch im Tauschhandel, nach Kriegsende auch am Schwarzmarkt erworben werden. Um dazu „Zigaretten-Geld“ zu kreieren, lernten wir, solche selbst herzustellen: Anpflanzen in unserem Garten, gut gedüngt mit den gesammelten Pferdeäpfeln, Auffädeln und Trocknen der Blätter auf Schnüre, Bestreichen mit Zuckerwasser, Zusammenlegen zu fingerdicken Stößen, Erhitzen im Backrohr, Schneiden und Eindrücken in leere Zigarettenröhrchen.

Den Respekt vor dem, was auf dem Teller ist, den sparsamen Umgang mit Essen, haben wir damals sicher gelernt. Auf dem Teller etwas überzulassen, gab es nicht, wäre unvorstellbar gewesen, ebenso etwas nicht zu essen, auch wenn es gar nicht schmeckte. Sogar den Teller abzulecken, wurde manchmal toleriert, weil es im Sinne einer rationellen Essensverwertung lag.

Im Sommer 1945 und 1946 konnte ich zur Unterstützung der Nahrungsmittelversorgung meiner Familie etwas beitragen, indem ich ihnen meine Lebensmittelkarte überlassen konnte, weil ich jeweils zwei Monate als „Bauernknecht“ in der Weststeiermark im Einsatz war. Der erste begann zu Ferienanfang einen Tag vor meinem 12. Geburtstag . Es war harte Arbeit, speziell für einen eher unterernährten Zwölfjährigen, aber ich machte sie gern und ich bekam ausreichend zu essen. In einem Brief schilderte ich es meiner Großtante: „Täglich um 6,30 aufstehen, mit dem Rad der Tante Resi (die Bäuerin) fahr ich Milch abliefern, dann Grünfutter holen in einem Schubkarren für die Kühe und Schweine, mittags und abends Stall ausmisten, beim Kühe füttern helfen und Schweine, Hasen und Hühner füttern. Am Vor- und Nachmittag verschiedenes: In der ersten Zeit bei der Weizenernte: Bänder machen, die Garben zusammenbinden, zusammentragen, auf Gerüste binden. Dann begann die Heuarbeit: Mähen wurde mir nicht beigebracht, aber das Gras auseinander streuen, zu Mittag wird es umgedreht und abends auf Wände (Holzgestelle) aufgehängt. Nach einigen Tagen dann wird es von den Wänden auf einen Leiterwagen geladen, der von einer Kuh gezogen in die Scheune gefahren wird. Meist aber wurde die Kuh geschont, wegen ihrer Milchproduktion, und wir schoben den Heuwagen selbst, vorne in den Deichseln der alte Bauer und ich hinten. Es ging mit Karacho den Berg hinunter und unten über eine schmale Brücke, die erwischt werden musste, über den Bach. Später im Jahr dann Äpfel brocken. Danach kam auch der Mais dran: wird gebrochen und dann geschält. Bei der Weinlese war ich dann nicht mehr dabei, musste nach Hause in die Schule.“

Bei diesem Einsatz passierte es, dass ich beim „Rübenhauen“ meinen linken Fuß traf. Ein Stück Haut und Fleisch flog auf das Feld, zur Freude eines Huhns. Die Wunde blutete stark. Zum Arzt gehen war nicht vorgesehen. Man fand rasch eine passende Betätigung für mich, sitzend, das Bein hochhaltend: Mohn „Auskiefeln“. „Untätiges Herumlungern“ war eben auch nicht drin.

Im Blick vom Heute zurück in diese Zeit möchte ich bemerken, dass ich nicht bedaure, diese Zeit des allgemeinen Mangels erlebt zu haben. Sie hat bis heute noch Spuren hinterlassen.
Man lernte, mit buchstäblich allem sparsam umzugehen und auf eine eventuelle weitere Verwendung zu achten, eben mit dem zurecht zu kommen, was man hatte.
Ein bildhaftes Beispiel dazu: Ich drücke jede von mir benützte Tube bis zum letzten Rest aus, oder schneide sie auf, um den Rest verwerten zu können. Und wenn ich irrtümlich zu viel herausgedrückt habe, dann versuche ich, es wieder zurück in die Tube zu ziehen!
Das Wort „Nachhaltigkeit“ gab es damals nicht, aber man hielt sich daran. Heute wird dieses Wort viel gebraucht, aber es wird kaum danach gelebt.

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