Familiengeschichten, Versorgung

Erinnerungen von Melitta

Von: Melitta Matousek, Jahrgang 1955 | 28. März 2025, 16:06

Erinnerungen an Erzählungen meiner Familie aus der Nachkriegszeit in Wien

Ich bin im Jahr des Staatsvertrags als Älteste von drei Geschwistern geboren.

Juden und Nazis: in unserer Familie wurde immer hinter vorgehaltener Hand geflüstert „der war auch Parteimitglied“, meine Mutter war mit einem Mädchen aus dem Reichsarbeitsdienst befreundet. Musiziert wurde mit einer Dame namens Seyss-Inquart – erst sehr viel später merkte ich etwas… Einladungen bei jüdischen Freundinnen waren oft.

Ein Freund meines Großvaters, geboren 1898, „erzählte nie etwas vom KZ“, es blieb geheimnisvoll. Es wurde nie offen über diese Zeit geredet, eher nur Bemerkungen „die Oma war so mutig, sie ist immer in jüdische Geschäfts einkaufen gegangen“, oder „der RAD war eh nicht so arg, wir durften am Sonntag in die Kirche gehen!“ ?

Meine Großmutter, geboren 1899, erhielt das eiserne Mutterkreuz: mein Vater hatte noch vier Geschwister. Als tiefgläubige Katholikin war sie sehr stolz darauf. Mein Vater, geboren 1914, lernte Neugriechisch in der Hoffnung, dann nicht „an die Front“ zu müssen, stimmte auch, er war Funker und Übersetzer. Meine Mutter, geboren 1925, wollte Säuglingsschwester lernen, mein Großvater – ahnte er etwas? – verbot es ihr mit „wer weiß, was du dann machen musst“. Schlussendlich studierte sie Germanistik und dissertierte über einen damals wie heute unbekannten Dichter.

Meine Eltern heirateten 1951 in Wien, gemeinsam mit den beiden Brüdern des Vaters, getraut von ihrem Onkel, dem Bruder der Großmutter! Mutter und Vater erzählten noch später vom Stress dieser Feier mit drei verschiedenen Verwandtschaften. Eine Freundin der Familie nähte aus einem alten Kleid ihr Hochzeitskleid.

Meine Mutter litt sehr darunter, dass sie für die Uni einen Aufstrich aus gekochten Erdäpfeln auf ein hartes Brot als Imbiss mitbekam. Sie erzählte auch, dass meine Großmutter, geboren 1898, sie mit weiter unansehnlicher Kleidung anzog – wohl, um damit etwaigen Vergewaltigungen zu entgehen.

Hier haben wir noch ein Kriegstagebuch meines Vaters und einige Fotoalben, sowie Tagebücher meiner Mutter, die überwiegend in Kurrent geschrieben sind.

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