Fluchtgeschichten, Familiengeschichten

Heimat und Flucht 1939 - 1944

Von: Johann Kilianowitsch | 5. April 2025, 23:37

Ich erzähle von meiner Kindheit - Heimat und Fluchtgeschichte 1939 - 1947.
Aufgeschrieben von Marion Kilianowitsch.

TEIL 1: Meine Eltern waren Ungarn, ich Johann (Jancsi) bin 1932 in Szabatka (Subotica) geboren.
Als Familie donauschwäbischer Vorfahren väterlicherseits, lebten wir in der Stadt Subotica in der Bacska (heute Wojvodina) im Haus der „Nagymama“ (Großmutter) mütterlicherseits, welches ein großes Areal, mit mehreren Mietern und einem sehr großen Gemüse- und Obstgarten war.
Mein Vater war Schneidermeister und arbeitete zu Hause in seiner kleinen Schneiderei.

Die Stadt Subotica hatte ca. 120 000 Einwohner u. gehörte ursprünglich zu Ungarn. Nach dem 1. Weltkrieg um ca. 1920 wurde unsere Stadt und das Bundesland Bacska von Jugoslawien besetzt. Bis Ungarn im April 1941 dieses Gebiet zurückeroberten und nach dem wieder verlorenen 2. Weltkrieg Jugoslawen das Gebiet Bacska wieder einnahm. Damit nicht nur Ungarn und deutschstämmige Menschen in dieser Gegend wohnten, siedelte man immer mehr Serben, Bosnier und Kosovaren an.

Meine Muttersprache ist ungarisch. Die ersten zwei Jahre in der Volksschule 1939 bis 1941 lernte ich serbisch, dann wieder ungarisch. Die Volksschule in die ich ging war eine jüdische Schule im Areal einer Synagoge. Es war die nächstgelegene Schule, ich hatte dort auch katholischen Religionsunterricht. Mein bester Freund war ein jüdischer Junge. Mit ihm war ich oft in der großen Synagoge in Subotica.
Als das ungarische Heer im April 1941 kampflos in Szabatka einmarschierte schaute ich mir den Aufmarsch an. In Szabatka gab es Nationalserben die Tschetniks. Sie haben von den Dachböden aus auf das ungarische Militär geschossen und ich war mitten drunter. Die ungarischen Soldaten zogen mich zu einem Stoß liegenden Holzmasten in Deckung. Als es wieder ruhiger wurde wollte ich nach Hause laufen. Eine Familie die in der Nähe wohnten haben mich gesehen es war noch viel zu gefährlich, sie rissen das Fenster auf und riefen „jancsi gyere ide, gyere ide!“ (komm her, komm her!). Sie packten mich an der Hand und zogen mich durchs Fenster hinein. Später als es ruhig war brachten sie mich nach Hause.
Mein Bruder Franz wollte unbedingt schon mit 19 Jahren zum Militär, er wollte zum ungarischen Heer. Es gab die auch Möglichkeit beim deutschen Militär einzurücken und er meldete sich 1942. Alle deutschstämmigen jungen Männer kamen zur Waffen-SS und so kam mein Bruder obwohl er kein Wort deutsch konnte ein halbes Jahr zur Ausbildung nach Krakau und zog in den Krieg gegen Russland.

1944 Sommeranfang gab es immer Fliegerangriffe und Bombardierungen. Zwei Bezirke in unserer Stadt wurden völlig zerstört und es gab tausende Tote. Da wurden wir schon von den Amerikanern bombardiert.
Im Herbst 1944 begannen die Partisanen mit nächtlichen Schießereien und Sprengungen. Sie versteckten sich am Tag im Friedhof, schoben die Steinabdeckungen der Gruften weg und verbargen dort ihre Waffen und Munition. Nachts griffen sie an und sprengten wichtige Zentren die das Leben in der Stadt aufrechterhielten wie auch das Zentral E-Werk der Stadt.
Mein Vater traf sich an Sonntagvormittagen mit den anderen deutschstämmigen Leuten im deutschen Kulturbund.
Ich war fast zwölf Jahre alt und ging in die zweite Klasse im Piaristen Gymnasium, als am Sonntag den 8. Oktober 1944 mein Vater vom Stammtisch des Kulturbundes um 11:30 nach Hause kam und sagte: „Wir müssen weg! Um 15:00 fährt der Zug.“

Schon einige Wochen zuvor sah ich immer wieder Kolonnen von Pferdefuhrwerken mit Planen durch die Stadt fahren. Es waren Volksdeutsche aus den Gebieten Siebenbürgen und aus dem Banat.
Wir packten alles was wir tragen konnten, alles was in dieser kurzen Zeit überhaupt möglich war. Ich weiß noch das ich meinen kleinen Kopfpolster und eine blaue Kanne mit Wasser getragen habe.
Als wir das Notwendigste gepackt hatten fuhren wir, meine Geschwister meine Eltern und ich mit dem Fiaker den mein Vater zuvor organisiert hat zum Bahnhof.
Am Bahnhof waren hunderte Leute alle warteten. Nach einiger Zeit bekamen wir einen Viehwaggon zugewiesen und alle stiegen nach den Anweisungen der Soldaten in die Waggone. In einen Waggon wurden fünfundfünfzig Leute hineingepfercht. Die Anzahl schrieb ein Soldat außen mit Kreide auf die Waggone. Es gab nur schmale Luftschlitze an den oberen Waggonwänden und nicht einmal Stroh am Boden.
Am Abend fuhr der Zug los wir hörten wieder Schüsse und nahmen an, dass es die Partisanen waren.
Auf dem Weg nach Budapest blieben wir oft lange mit dem Zug stehen. Nach zwei Tagen kamen wir am Budapester Ostbahnhof an und hielten uns dort ungefähr eineinhalb Stunden auf. Meine Schwester und ich wollten in dieser Zeit etwas zu essen und trinken besorgen. Wir kamen fast zu spät zurück, der Zug wurde langsam in Richtung Westbahnhof verschoben. Wir rannten um den Zug noch zu erreichen. Unsere Eltern riefen, knieten an der Öffnung des Waggons und zogen uns durch die offene Schiebetür hinein.
Die Flucht ging weiter westwärts. Während der Fahrt konnte man nicht jederzeit die Notdurft verrichten und wenn der Zug stehen blieb nutzten wir die Gelegenheit. Doch nicht jeder konnte sich das so einteilen. Keiner mehr hatte ein Schamgefühl es roch und die Luft war stickig. Mit Vorsicht öffneten die Erwachsenen manchmal die Schiebetür des Waggons damit die Luft wieder etwas erträglicher wurde.
Bei der Fahrt durch Österreich wurde unser Zug mehrmals beschossen. Wenn ein Fliegerangriff drohte gab Vorwarnungen. Der Zug blieb stehen alle liefen hinaus und wir versteckten uns hinter Heumandln, Büschen, Bäumen oder sonst wo. Nach dem Angriff kündigte der Lockführer zweimal ein Pfeifsignal für die Weiterfahrt an. Schnell liefen wir zurück zum Zug. Allmählich wurden wir aber immer weniger und wir bekamen im Waggon etwas mehr Platz. Kann sein, dass einige den Angriff nicht überlebt haben und manche hatten einfach Pech, versäumten denn Zug und mussten hinten bleiben.
Ich kann mich gut erinnern, dass wir in Linz auf die Bahnstation Kleinmünchen verschoben wurden dort bekamen wir das erste Mal nach knapp einer Woche eine warme Suppe vom Roten Kreuz. Jeder hatte irgendein Geschirr stellten uns in einer Reihe an und warteten bis wir dran waren.
Es ging weiter nach Attnang - Puchheim. Die Bahnstation war schon ziemlich kaputtgeschlagen von den Bombardierungen und dort haben wir einen Tieffliegerangriff der Lightnings erlebt - so etwas kann man sich nicht vorstellen. Diese Flieger flogen über den Zugdächern hinweg und haben links und rechts in die Züge hineingeschossen. Wir lagen im Waggon alle am Boden und schützten uns. Ich habe keine Ahnung ob jemand umgekommen oder verletzt wurde, jeder schütze nur seine eigene Familie.

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