Versorgung, Familiengeschichten
4. Was gab es noch im Krieg und danach
Von: Illi-4 | 22. April 2025, 11:35
Auszuge aus der Geschichte meiner Familie, die ich als Zeitzeuge (geboren 1933) für meine Kinder und Enkel geschrieben habe, um die Lebensumstände in früheren Zeiten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Teil 4.
In Zeiten der Not hat Kleidung keinen modischen Stellenwert. Kleidung jeder Art, Stoffe, Wolle, neu zu kaufen, war kaum möglich, selbst mit Bezugsschein, der "Reichskleiderkarte", gab es nur wenig. Obwohl es an allem fehlte, schaffte man es doch, nicht nackt, sondern eben mit alten, x-mal reparierten oder umgenähten Klamotten herumzulaufen. Man war froh, überhaupt etwas zum Anziehen zu haben, bei Kindern, wenn es „noch“ oder „in etwa“ passte, und geflickte Sachen mussten selbstverständlich weitergetragen werden, zu klein gewordene Kleider und Schuhe wurden an jüngere Geschwister oder Kinder von Verwandten und Bekannten weitergegeben. So „erbte“ mein jüngerer Bruder manches von mir, und ich wiederum von meiner älteren Schwester. Etwas auszusortieren, weil es nicht mehr schön war oder nicht mehr gefiel, war undenkbar.
Auch im Winter trug ich als Bub dieselbe kurze Lederhose wie im Sommer und dazu lange Strümpfe, die von einem „Strumpfbandhalter“ festgehalten wurden, womit ich mich jedoch gar nicht wohlfühlte. Der Vorfall bei unseren Schießübungen, davon habe ich an anderer Stelle berichtet, hinterließ in meinem Strumpf zwei kleine Löcher. Diese wurden natürlich „gestopft“. Diese Strümpfe musste ich noch einige Jahre weitertragen, wuchsen aber mit mir nicht mit, so dass die beiden Löcher allmählich nach unten wanderten! Strümpfe-Stopfen, was ich zur Entlastung meiner Mutter auch lernen musste, war eine Notwendigkeit, es konnte so weit gehen, dass ein Strumpf schließlich fast nur noch aus „Stopfe“ bestand.
Nicht mehr reparables Gestricktes wurde aufgetrennt und aus der Wolle etwas Neuers gestrickt. Aus kleinsten, auch schäbigsten Stofffetzen fabrizierten meine Mutter, meine Großmutter und meine Großtante mit viel Geschick Kleidungsstücke, und wenn das nicht möglich war, dann wurde zumindest noch zur Selbstherstellung hergestellt. Man hatte auch kein Problem damit, ein zu kurzes Kleis mit einem ganz anderen Stoff zu verlängern. Wie etwas aussah, war nicht wichtig, Hauptsache, man hatte wieder etwas zum Anziehen.
Schuhe wurden x-mal neu besohlt, bis die Löcher zu groß waren. Ein Loch vorne konnte es aber ermöglichen, den Schuh länger zu tragen, wenn der Fuß schon darüber hinausgewachsen ist.
Eine anschauliche Vorstellung gibt das folgende Zitat aus einem Brief meiner Mutter an unsere Großtante: „ …der Kleine hat nichts mehr anzuziehen, besonders keine Hosen. Am meisten Jammer ist es mit den Schuhen. Alle 3 haben nichts mehr, keine Reparatur seit fast einem Jahr, von neuen gar nicht zu reden. Das Mädchen trägt meine und Mutters Schuhe, den Bub kann ich bald nicht mehr in die Schule schicken. Er trägt Mädchenschuhe mit hohen Absätzen. Der Kleine hat nur ein einziges Paar und ich zittere schon, wenn sie kaputt gehen. Er geht doch so gerne hinaus. Sockerln für den Sommer hat er auch nicht mehr, sind zu klein. Alles geht aus und nichts kann man anschaffen. Wenn es nur bald warm werden würde, dann können die Buben barfuß gehen. …“
Noch zwei kurze Stellen aus Briefen meiner Mutter: „ …. Die Matratzen in unseren 2 Betten sind nur noch Fetzen,“ und „ …. Vielleicht hast Du noch ein Handtuch, aus dem man ein Hemd schneidern könnte?“
Die schlechte Versorgungslage betraf auch die Brennstoffe. Kohle und Holz zur Beheizung der Öfen und Herde wurde nur in beschränkter, rationierter Menge zugeteilt. Es gab lange Wartezeiten und nur Braunkohle in schlechter Qualität, das heißt mit hohem Aschegehalt und beim Brand die Luft verpestend. Mit großen Plakaten, einen schwarzen Mann mit einem Auge, einen Sack tragend darstellend, der "Kohlenklau“, wurde zu Sparsamkeit aufgefordert.
Die Zuteilung des Brennstoffs erhielt man im Herbst, vor das Haus auf den Gehsteig geworfen und es gehörte wiederum zu meinen Aufgaben, das Ganze durch das Kellerfenster in den Keller zu schaufeln und später imder Gebrauchsfall in Eimern nach oben in die Wohnung zu tragen. Damit es über den Winter, die meisten waren sehr kalt, ausreichte, musste sehr sorgfältig damit umgegangen werden. Das heißt, wir heizten nur den Kachelofen im Wohnzimmer und diesen auch nur im Bedarfsfall ein. Somit war der einzige durch den Kohleherd einigermaßen warme Raum die Küche, in der sich im wesentlichen unser Leben abspielte. Natürlich zogen wir uns daheim auch wärmer an.
Und der ebenfalls kohlebeheizte Badeofen wurde höchstens jeweils am Freitag angeschürt, das war Badetag für alle. Zur Reinigung diente Kernseife. Der letzte Seifenrest wurde auf ein neues Stück Seife geklebt, um nichts zu vergeuden.
Nichts, was wir benützten, durfte weggeworfen werden, sondern wurde für eine eventuelle Wiederverwertung sorgfältigst aufgehoben. Papier gab es in Form der einen Zeitung, dem „Völkischen Beobachter“, selten als Einwickelpapier oder Sackerln, - Kunststoff kannte man noch nicht. Die Geschenke für Weihnachten und Geburtstage waren im selben Papier eingewickelt und mit denselben Bändern verschnürt, die schon in den Jahren davor dafür eingesetzt waren. Papierreste diente zum Feuermachen im Herd und im Ofen. Zeitungspapier, entsprechend klein zugeschnitten und weichgerubbelt war unser Toilettenpapier. Die schwarz verfärbten Unterhosen waren dabei das geringere Übel.
Zahnstocher wurden aus abgebrannten Zündhölzern geschnitzt. Zahnpasta Tuben wurden aufgeschnitten, um an den letzten Rest ihres Inhalts zu gelangen. Runde Metallblättchen, mit Schrauben festgehalten, dienten zum Verschließen von Löchern in Pfannen und Töpfen. Dies sah nicht besonders attraktiv aus, aber die Töpfe waren wieder funktionsfähig. Auch dies zählte zu meinen Aufgaben im haushalt.
Natürlich musste auch mit Strom gespart werden. Oft war er abgeschaltet, meist zur Hauptzeit. Möglichst schwache Glühbirnen waren angebracht, 40 Watt, mit 60 Watt-Birnen hatte man schon ein schlechtes Gewissen. Dass das Licht nur dann brannte, wenn man es wirklich brauchte, war selbstverständlich. Lampen brennen lassen, ohne sie zu brauchen, war eine große Sünde! (Und ist eds auch noch!)
Zur Korrespondenz: Jemanden eine Nachricht zukommen zu lassen, da brauchte man Geduld. Eine Post gab es, aber sie war nicht zuverlässig und dauerte nicht Tage, sondern Wochen, vor allem nach Kriegsende, da alles von den Besatzungsmächten kontrolliert wurde. Das führte oft zu besorgten, sich oftmals überschneidenden Rückfragen. Ein Telefon in unserer Wohnung habe ich nicht erlebt. Damals hatten es nur die Wehrmacht und Behörden. Die Vorstellung, mit jemanden zu reden, den ich gar nicht sehe, war mir ohnehin nicht geheuer. Für dringende Informationen ging man zur Post und sendete ein Telegramm oder telefonierte von dort, aus Kostengründen tunlichst beschränkt auf wenige Worte.
Spielsachen, wie man sie heute kennt, waren ebenfalls absolute Mangelware. Entsprechend spärlich waren immer die Gabentische. Dank der regelmäßig von mir an meine Großtante in Linz gerichteten schriftlichen Berichte kann ich heute nachlesen, was ich z. B. 1945 zu Weihnachten bekommen habe: ein Puppenkasten zur Aufbewahrung meiner Bastelwerkzeuge, drei Bücher (Der Löwe von San Marcus, Das Geheimnis der RA 113 und Fridtjof Nansen), ein Teller Kekse (aus Roggenmehl), ein Stück Torte, ein Luftkampfspiel. Das war`s und machte viel Freude! Ja, ein Teller Kekse war schon etwas Besonderes! Ich fühlte mich ausreichend beschenkt.
Gegenseitige Besuche, wie z.B. Geburtstagseinladungen, kannte ich nicht. Der soziale Kontakt mit anderen Kindern fand im Wesentlichen im Hof hinter dem Haus und auf der Straße statt. Es waren immer genügend Kinder aus unserem Haus und der Nachbarschaft da, mit denen ich „Verstecken“, „Tempelhupfen“, „Schneider-leih-mir-die-Schere“, „Zur-Suppe-greift“ oder auch Völkerball spielte. Oder wir spielten ganz einfach „Familie“, mit verteilten Rollen. Oder „Ringel-Ringel-Reihe“.
Ein beliebtes Spielgerät war die sich üblicherweise in jedem Hof befindende „Klopfstange“, ihr eigentlicher Zweck, die Teppich-Reinigung, für uns Kinder war sie ein intensiv genutztes Turngerät.
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