Heimkehrer

Das letzte Aufgebot; Kapitel 6 - Heimkehr

Von: Franz Holzmann | 4. April 2025, 09:45

Die Geschichte der Heimkehr meines Großvaters Franz Holzmann, welcher als 17-jähriger kurz vor Kriegsende noch eingezogen wurde und dann die russische Gefangenschaft überlebte.

Die Geschichte meines Großvaters wurde von meinem Onkel Hermann Holzmann in den 90er Jahren anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Republik niedergeschrieben. Ich darf mit seiner Erlaubnis den Text des letzten Kapitels hier teilen und wollte auch selbst ein paar Worte zu meinem Opa schreiben.

Kapitel 6: Heimkehr
Im Oktober 1945 wurde ich dann eines Tages einem Transport zugeteilt. Zunächst vermutete ich, ich sollte in ein anderes Lager verlegt werden. Ich durfte aber
heimkehren! Im Rückblick betrachtet, wollten die Russen mit dieser Aktion sicher auch
ihre Sympathiewerte bei der österreichischen Bevölkerung anheben und der KPÖ
Wahlkampfhilfe leisten. Tatsächlich wurden ja in Österreich Kommunisten bei den Sowjetbehörden vorstellig, um eine möglichst rasche Entlassung österreichischer Kriegsgefangener zu erreichen. So traf beispielsweise der erste Transport noch vor den
Wahlen vom 25. November ein.
Unser Rücktransport erfolgte nicht über Lemberg, sondern durch Südrussland nach
Rumänien. Die Bahnhöfe vermittelten hier eigentlich einen recht sauberen Eindruck,
nicht so wie die in Russland, wo sie ja regelrecht verwahrlost waren. Auch kann ich mich noch gut an die Bohrtürme der rumänischen Erdölstadt Ploesti erinnern.
Viele der entlassenen Gefangenen starben während des Transportes, die Heimat schon vor Augen. Manchmal wurden die Toten einfach aus dem Zug geworfen. Einmal
hat sich darüber ein Arzt in einem Bahnhof außerhalb Bukarests sehr „aufgeregt". Die Russen haben sich darum aber nicht gekümmert.
Jedes Mal, wenn wir in einen größeren Bahnhof eingefahren waren, gab es einen kurzen Halt. Jeder nützte die Gelegenheit, irgendwo Wasser oder etwas Essbares zu
bekommen. Die Dauer des Aufenthaltes kannte aber keiner von uns genau. Ein kurzer Pfiff, und schon setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Auf diese Weise blieben in Budapest etliche Kameraden zurück, die etwas länger „ausgeschwärmt" waren. Das k ü m m e r t e a b e r d i e R u s s e n n i c h t .
Am 4. Dezember hatten wir endlich nach einer sechs Wochen langen Fahrt Österreichs Grenze erreicht. Wir fuhren noch bis Mödling. Dort entließen uns die
russischen Soldaten mit dem Ruf: „Damoj baschli!" (Los, nach Hause!)
Mit dem Entlassungsschein in Händen, kam ich dann nach Wien, wo alle Bahnhöfe schwer beschädigt bis unbrauchbar waren. Nur der Nordwestbahnhof war einigermaßen intakt geblieben. Von dort aus wollte ich irgendwie weiterkommen.
Einige Lastwagen standen im Bereich des Bahnhofs. Wir sprachen die Lenker an und erkundigten uns, wohin sie fuhren. Einer antwortete: „Nach Schrems!" Kurz
entschlossen stiegen wir auf das Plateau, das nicht überdacht war. So waren wir der eisigen Kälte schutzlos ausgeliefert. Zusammengekauert und den Kopf in den Nacken gezogen, überstanden wir auch diese Fahrt, die uns unserem Ziel wieder ein Stück näher gebracht hatte.
Von Schrems ging ich dann zu Fuß nach Gmünd, um von dort einen Anschluss nach Groß Gerungs zu erreichen. Auf dem Weg dorthin begegnete ich russischen Soldaten.
Sie hielten mich an und verlangten nach meinen Papieren. Ich zeigte ihnen den Entlassungsschein und durfte meinen Weg fortsetzen. Der Bahnhof in Gmünd war voll von Flüchtlingen, die mit dem Zug weiterkommen wollten. Da es keinen Anschluss mehr nach Groß Gerungs gab, übernachtete ich dort mit vielen anderen.
Am nächsten Tag fuhr ich noch am Vormittag mit der Schmalspurbahn nach Groß Gerungs. Dort kehrte ich bei einem Treffpunkt der Fuhrleute, der so genannten
„Teichmiazl", ein. Die Besitzerin hieß Traxler Maria. Weil ihr Gasthaus aber in der Nähe des Löschteiches (im Bereich des heutigen Freibades) lag, hatte sie im Volksmund eben diesen Namen. Dort traf ich die Schwester vom Höfinger aus Arbesbach, die Tüchler Hilda. Sie handelte mit Eiern und war auf dem Weg nach Hause. So kam ich auf ihrem Pferdeschlitten bis nach Arbesbach. Die letzten fünf Kilometer legte ich nunmehr zu Fuß zurück.
In Purrath kam ich beim Pilz vorbei, wo gerade die Sommerernte gedroschen wurde. Leute aus der Nachbarschaft halfen dabei mit, weil die Arbeit den Einsatz mehrerer Leute erforderte. Man hatte zwar einen Dieselmotor, der über einen großen Riemen die Dreschmaschine antrieb, aber das Heranschaffen der Garben, das Abfüllen und Transportieren der Säcke und die Entfernung des Strohs machten den Einsatz von mehr
Arbeitskräften notwendig, als im jeweiligen Haus zur Verfügung standen. So „wanderte" man eben beim Dreschen von einem Haus zum anderen und half sich
gegenseitig. Als ich an den mit der Arbeit Beschäftigten vorbeiging, sah mich zuerst der Payreder Karl. Er grüßte mich und rief mir zu: „Bist a wieda hoamkeamma?" Ich
h a t t e aber nur mehr eines im Sinn: nach Hause.
Es waren noch ein paar hundert Meter, da sah ich auch schon mein Elternhaus. Voll Freude ging ich auf die Haustür zu. Diese war aber versperrt. Es gelang mir, durch die „Hütte" (Schuppen) in den Hof zu kommen. Ich trat in die Küche. Da saß meine Mutter beim Tisch und sah mich lange Zeit an. Sie hätte mich fast nicht mehr wieder erkannt. Das Erste, was sie nach dem Wiedersehen tat, war, gleich die Kleider zu verbrennen. Ich war ja voller Läuse. Sie steckte alles in den Küchenherd und gab mir
frische Wäsche. So konnte wieder ein neues Leben beginnen.

Anmerkung der Einsenderin:
Mein Großvater, der als 17-jähriger kurz vor Kriegsende nichts-ahnend noch eingezogen wurde, hat viele Gräueltaten erlebt und er musste in russischer Gefangenschaft in einem Bergwerk arbeiten und schrecklichen Hunger erleiden. Ich weiß noch, dass wenn er über diese Zeit redete, sein Blick sich so verhielt, als würde er ins Narrnkastl schauen. Er hat uns Kindern einmal gesagt, dass wir garnicht wüssten, was Hunger überhaupt ist. Er sagte das aber nicht in einer vebitterten oder gehässigen Art und Weise, denn das war mein Großvater ganz und gar nicht. Im Gegenteil, er war ein Mensch, der schwierige Situationen oftmals mit einem dummen Spruch oder einem Schmäh und einem Augenzwinkern aufzulösen versuchte. Das hat sich mein Vater offenbar genauso von ihm abgeschaut wie ich.
Mit der Aussage, dass wir nicht wüssten, was Hunger überhaupt ist, hatte er natürlich recht, denn die große und gesunde Familie, die er danach gründete, dufte in einer anderen, besseren Zeit leben. Mein Opa übernahm den Hof seiner Eltern und war von 1975 bis 1990 Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Arbesbach. Sein Amt wurde sehr geschätzt. Er hat Dinge bewegt und selber Hand angelegt. Man hatte davor auch schon versucht, meinen Opa in die Politik zu bringen: noch während des Kriegs versuchte man, meinen Opa zum Eintritt in „die Partei“ zu bewegen, in die auch sein Vater bereits eingetreten war. Mein Großvater hat das aber abgelehnt, weil er scheinbar Recht von Unrecht unterscheiden konnte oder ein gewisses Gespür gehabt hat. Das weiß ich nicht so genau. Ich glaube aber schon daran, dass mein Opa ein grundsätzlich ehrwürdiger Mann war. Er hat übrigens gegen Ende seines Lebens hin öfter mal gesagt, „Hitler war ein Trottel“. Seine beiden Vollzeit-Pflegerinnen, die er "auf seine alten Tage" benötigte, kamen aus der Slowakei und mit denen hat er dann tatsächlich noch ein paar slawische Wortfetzen wechseln können, weil die Wörter, die er während der russischen Gefangenschaft aufgeschnappt hatte, 75 Jahre später für ihn noch immer greifbar waren!
Meine Schwestern und ich sind im selben Haus groß geworden, das mein Opa schon von seinen Eltern übernommen hatte. Mein Vater hat die Wirtschaft in weiterer Folge bekommen und so haben drei Generationen gleichzeitig in dem Haus gelebt. Es gab natürlich Höhen, Tiefen und Schicksalsschläge. Aber wir sind alle pumperlgsund (denn das ist laut Opa immer das wichtigste gewesen) und grundsätzlich hat es uns nie an etwas gefehlt. Meine Eltern haben uns allen eine gute Ausbildung ermöglicht und wir durften in den 80er und 90er Jahren eine gewisse Sicherheit und ein gewisses Wachstum erfahren. Das gab mir zum Beispiel dieses tiefe Grundvertrauen und ich bin dafür sehr dankbar, weil ich in der heutigen Zeit sehe, dass man nur mehr wenig als selbstverständlich betrachten kann, was für uns damals einfach gegeben war.
Was ich allerdings schon bemerkt habe, ist dass in unserem Haus die Fähigkeit, Dinge anzusprechen, zu benennen und zu bearbeiten schon gefehlt hat. Ich weiß nicht, ob das ein Gesellschaftsproblem der Nachkriegszeit war, welches wir jetzt noch mit uns herumtragen. Es wäre jedenfalls nachvollziehbar, wenn man diese schrecklichen Dinge einfach tot-schweigen wollte.
Ein großer Dank gilt hier auch meinem Onkel Hermann, der die Geschichte meines Großvaters anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Republik niedergeschrieben hat, damit nachfolgende Generationen erfahren, was passiert ist.

Umgebungskarte "Heimkehrer"

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