Familiengeschichten

Überlebt in Berlin

Von: Ulrike Drescher | 21. April 2025, 11:11

Eine liebe Freundin hat den Brief meines Vaters (damals 23 Jahre) an seine Eltern in Kindberg aus dem Kurrent ins Reine geschrieben. Endlich kann ich ihn lesen.

Berlin, den 28.11.1943 Sonntag 17:20

Meine lieben Eltern!

Eine Woche wüsten Geschehens liegt hinter uns, ich weiß nicht, wann Euch dieser Brief erreichen wird, aber es wird wohl einmal der Fall sein. Ich will versuchen, Euch jene Gedanken zu schildern, die mich bewegten. Am Montag (22.11) hatte ich Dienst in der Akademie. Abends kam dann jener Grossangriff, der von uns aus, also von Wittenau gesehen nicht schlimm aussah.

Ich wurde erst stutzig, als ich keine Nachricht von Traudl bekam und da am nächsten Morgen kein Verkehrsmittel zu erreichen war, machte ich mich um 5 h früh auf den Marsch. Es war furchtbar u. ist kaum zu schildern. Mein Weg führte durch rauchige Strassen, an zerstörten u. brennenden Häusern vorbei, bis ich endlich immer näher an die Luitpoldstrasse herankam. Ich war verzweifelt, als ich die Zerstörungen zunehmen sah u. war natürlich vollkommen erschüttert, denn die Ruinen u. der Bombentrichter vor Haus 31 sagten mir deutlich genug, hier ist niemand mehr herausgekommen. Ich fragte einen Soldaten, der mir meine Vermutung nur bestätigte u. erklärte, dass selbst eine Bergungsmannschaft nichts mehr auszurichten im Stande war. – Was sollte ich tun? – In der Luitpoldstrasse stand kein Haus mehr, alles war verbrannt, daher auch kein Mensch, der mir hätte näheres darüber sagen können.

So ging ich in das Marineamt, (gleich an der Luitpoldstrasse) u. dort erst sagte man mir, dass einige Personen gerettet wurden – wer allerdings, wusste man nicht! Bis endlich ein Feuerwehrmann mir die Nachricht von Traudl mitteilte u. auch sagte, wo sie sich aufhalte.

Wie froh ich da war, dass kann niemand auch nur annährend nachspüren. Natürlich machte ich mich sofort zum OKM auf den Weg, wo dann die Freude für uns beide doppelt gross war! Aber wie sah meine Kleine aus, der Mantel zerrissen, das Haar verbrannt u. verschmutzt, aber darüber wird Euch Traudl selbst erzählen können. Ich war ja nur froh, dass sie heil da war, das andere war mir vollkommen egal. Wenn sie nichts retten konnte u. alles verlor, was bestimmt auch schmerzlich ist, so steht über allem doch das Menschenleben, die anderen Werte sind ja alle ersetzbar. Wie viel man sich dadurch als Mensch u. Liebender näherkommt, dürftet Ihr wohl verstehen.

Der nächste Gedanke war, was soll nun geschehen? Ich lud sie sofort nach Kindberg ein, um dort einmal die nötige Ruhe zu finden u. sich wieder zu erholen. Und so konnte sie bereits Donnerstag früh? Berlin verlassen, was sie auch mit schwerem Herzen tat. Wie es war, - wie es hier aussieht, – das kann sie Euch selbst schildern. Mir kommt es forderhand darauf an, dass sie so schnell nicht wieder hierher kommt. Ich bin so froh, dass ich sie bei Euch in Sicherheit weiss.

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