Fluchtgeschichten, Familiengeschichten

Befreiung Österreichs 1945

Von: Johann Kilianowitsch | 5. April 2025, 23:41

Ich erzähle von meiner Kindheit - Heimat und Fluchtgeschichte 1939 - 1947.
Aufgeschrieben von Marion Kilianowitsch.

TEIL 3:
Am 2. Mai 1945 hörten wir, dass geschossen wurde. Die SSler schossen mit der Flak über den Inn nach Deutschland auf die Amerikaner. Als diese mit ihren schweren Geschützen zurückfeuerten, flüchteten die SSler. In Obernberg war weithin der einzige Übergang über den Inn. In Schärding und Braunau waren die Brücken nicht mehr befahrbar. Am gleichen Tag fuhren die Amerikaner über die Stauwerksbrücke, die nur mit Jeeps befahrbar war, über den Inn nach Österreich.
Der Bürgermeister ging mit einigen Leuten und einer weißen Fahne zum Inn hinunter und übergab Obernberg. Als die Amis in den Ort hinauf kamen, waren alle vorsichtig und ängstlich am Marktplatz versammelt. Die Wirtin vom Gasthaus nebenan winkte als erste begeistert mit dem Taschentuch.
Ab diesem Zeitpunkt waren die Menschen in Österreich nicht mehr so freundlich und hilfsbereit zu uns Flüchtlingen. Sie änderten ihre Meinung und beschimpften uns als „s’Gfrastleut, Banatergfrast schaut's, dass wieder weiterkommt’s. Warum seid‘s überhaupt herkommen!“ Seitdem behandelte man uns wie das Letzte!
In dieser Zeit musste mein Bruder Franz den ganzen Rückzug von Russland, Ungarn bis nach Österreich machen. Als mein Bruder zu Hause ankam freute sich die ganze Familie. Von nun an lebten wir zu siebt in unserem Zimmer, in dem mein Vater mittlerweile als selbständiger Schneider auch seinen Arbeitsplatz hatte. Die Lebensmittel teilten wir nun durch sieben.

Bei Kriegsende ließen die Soldaten, im Flieger Quartier des Militärflugplatzes Stift Reichersberg alles liegen und stehen und haben das Weite gesucht. Die Uniformen, Lederstiefel usw. alles was liegen geblieben war, nahmen sich die Leute aus der Umgebung mit. Auch wir nahmen uns, was wir brauchen konnten. Die Uniformen trennten meine Mutter und ich fein säuberlich auf, mein Vater wendete die Stoffe und schneiderte neue Sakkos, Hosen und Mäntel daraus. Auch die Kundschaften brachten Uniformen, die mein Vater änderte.

Am Flugplatz in Reichersberg spielten meine Freunde und ich „Fliegersoldaten“. Wir versammelten uns im Flugzeughangar und besprachen wer die Piloten, die Funker und die Bordschützen waren und den nächsten „Angriffsplan“, dann rannte jeder zu seinem Flugzeug.

In diesem Frühsommersommer 1945 fanden wir sehr viel Munition und andere technische Geräte, die einfach in der Gegend herum lagen. Wir sammelten Gewehrpatronen, sowie 2cm-Flakpatronen. Klopften den Sprengkörper aus der Hülse, sammelten das Schießpulver und das Zündpulver und legten uns ein Lager in Säckchen an. Bei Gelegenheit streuten wir eine „Straße“ mit Zündpulver auf und entzündeten eine gewisse Menge Schießpulver, dabei hatten wir immer sehr viel Spaß.
Einmal war ein Junge sehr unvorsichtig mit einer Handgranate. Die Handgranate explodierte vorzeitig und seine Hand wurde dabei weggerissen. Rundherum lagen Benzinkanister und verschiedene Munitionsarten. Alles fing Feuer und explodierte.
Mein Bruder Franz musste sich bei der Gemeinde in Obernberg melden. Seine Daten wurden aufgenommen. Die Amerikaner kontrollierten seine Herkunft und seinen Aufenthalt in der Kriegszeit. Er wurde ins Gefangenenlager nach Lambach gebracht. Meine Mutter und ich besuchten ihn und fuhren auf einer Lastwagenladefläche voll Menschen, die auch ihre Angehörigen besuchen wollten, nach Lambach, um etwas zum Essen zu bringen.
In Lambach mussten wir vor dem Eingang neben dem Büro sehr lange warten. Mussten Angaben machen, wer wir sind, wen wir besuchen und was wir mitbringen. Das Packerl für meinen Bruder mit Äpfeln und Kartoffeln mussten wir im Büro lassen. Erst nach gründlicher Untersuchung der Aufsicht bekam es Franz. Während der Wartezeit schlich ich am äußeren Zaun eines Doppelzaunes des Lagers, in dem dazwischen Wachtürme standen, entlang um vom Zeltlager der Gefangenen mehr zu sehen. Ich sah Latrinen die ein langer Holzbalken waren, wo sich die Häftlinge draufsetzten, dahinter lag der ganze Mist von den Leuten. Mein Bruder erzählte mir später, dass die Gefangenen oft zu schwach vor Hunger waren, verloren das Gleichgewicht auf dem Balken und fielen rückwärts hinunter. Die anderen Gefangenen halfen ihnen wieder hinauf. Obwohl es Frühjahr war gab es keinen einzigen Grashalm im Lager, weil die Gefangenen das Gras aufaßen.

Nach einer ausreichenden Prüfung bekam Franz leichtere Haftbedingungen. Im Herbst, irgendwo zwischen Lambach und Gmunden, mussten die Gefangenen einen Wald roden und Baracken bauen, in denen sie im Winter unterkommen konnten.

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