Fluchen und Reden
Schimpfen im Oberen Piestingtal
Von: Adi Michel | 21. März 2021, 18:12
Ich wuchs in den 50er- und 60er-Jahren in Neusiedl bei Pernitz - eben im Piestingtal - auf. Ich bin am Zusammenfassen meiner Kindheitserinnerungen. Ein Kapitel befasst sich mit den Konfrontationen, die wir Kinder seinerzeit untereinander hatten...
Jede Hochkultur wird nach Äonen noch hoch gepriesen.
Warum aber wird von den Assyrern, Sumerern,
Babyloniern, Ägyptern, Griechen, Chinesen, Azteken
und wie sie alle weise waren, nicht überliefert, wie sie
sich verhalten haben, wenn sie „ang´fressen“ waren?
Schimpfen im Oberen Piestingtal
Wir wollen nichts beschönigen. Wir haben genau so arg geschimpft wie alle Generationen vor uns und wohl auch alle nach uns es tun werden. Mobben haben wir noch nicht gekannt, deshalb ist es uns auch nicht aufgefallen, wenn wir mit wem ´mal bös waren. Es sind aber wegen unserer Streitereien auch keine Scharen von weinenden und anklagenden Elternteilen jeden Tag in der Schule gestanden.
Einschub: In meinem zweiten Schuljahr als Lehrer war ich in Gutenstein an der Volksschule. Bereits in der zweiten Schulwoche wurde eine Dame der High Society, die sich als Mutter entpuppte, vorstellig, warum ich ihren Sohn in die Ecke gestellt habe. Ich beteuerte, mich gar nicht mehr daran erinnern zu können, aber es wird schon seine Richtigkeit haben und es wird bestimmt einen Grund dafür gegeben haben… Die Mutter kam nie wieder (im Gegensatz zum Schuljahr davor) in die Schule – wir hatten (nicht ironisch gemeint!) ein herrliches Verhältnis miteinander und ab diesem Tag vertraute sie meinen Anordnungen. Einschub aus!
Was will ich damit sagen? Wir waren noch in der glücklichen Lage, unsere Zores, die wir miteinander hatten, alleine auszutragen. Nach zwei Tagen (spätestens!) waren sie bereinigt und man hatte unter Umständen mit wem anderen wegen irgendeiner Nichtigkeit Probleme, die eigentlich keine sonderlichen waren. Sunt pueri pueri! „Knaben sind eben Knaben!“, meinten schon die alten jungen Römer.
War man schwächer als sein Widersacher, provozierte („guschte“) man mit Sicherheitsabstand und versuchte bei seinen Beleidigungen nur so weit zu gehen, dass der nicht zu zornig wurde und dir doch nachlief.
Die Schimpfwörter haben sich in den letzten 100 Jahren ja wohl kaum geändert. Bei uns waren fast alle „voi“ und „fest“. Der Sepp war „a Voitrottl“ und der Peda „a festes Oaschloch“! Auch Widersprüche gibt es bei Schimpfkanonade, wie etwa „Du bist a urndlicha Dodl!“. Wie „ordentlich“ im Zusammenhang mit etwas Dummen stehen kann, weiß ich nicht. Bei Mädchen hatten wir ein erweitertes Vokabular zu Verfügung – meist im Konnex mit „bled“: Blunzn, Trutschn, Gauns, Gaas (Blutwurst, Unsinn plapperndes, ungeschicktes weibliches Wesen, Schwimmvogel, weibliche Ziege). Manchmal bedachte man sie aber verächtlich nur mit einem „Gusch, du schiache Funsn!“
Zum Teil waren wir auch klassisch angehaucht, wenn wir Goethe zitierten; vor allem der Götz von Berlichingen kam uns leicht über die Lippen. Und die Fäkalwörter, die heute noch rege im Umlauf sind, waren uns ebenfalls bereits geläufig. Meine Erziehung gebietet mir, nur die Übersetzung zu offerieren: „Geh deinen Stoffwechsel pflegen!“, „Du bist ein richtiges Mützenmuster für die unappetitliche Rückseite des Menschen!“ *
Androhungen von rabiaten Handlungen lagen häufig in der Luft: „Hoit dei´ saublede Goschn oda i prack da ana!“, „A Packl Detschn is schnö obag´haut, waunns d´ di no laung so deppat auffiahst!“, „I tusch da glei´ ane, du Ungustl, waunns d´ weida so an Bahö (übertriebenes Getue) mochst!“ Erwachsene unterstrichen ihre Ermahnungen, dass sie uns von irgendwo „(weg)stamperten“. Und die „Hausdetschn“ oder die „Dresch“, die sie ihrem eigenen Nachwuchs angedeihen ließen, wenn er sich „letz“ (verkehrt) benahm, mutierte bei Nachbarskindern bestenfalls zu Dochtln. Dennoch wurde das mit Nachdruck geäußerte „Drah di!“ bisweilen zur Realität.
Allerdings versuchte man auch den Schimpfenden zu beschwichtigen: „Pudel di do net so auf!“, Moch di net au!“ (statt „anmachen“ wurde ein anderes Wort verwendet!), „Geh, vazupft di!“
Und der Zorn verrauchte zizerlweis (in kleinen Schritten), wenn dann der Beschimpfte znepft (zerzaust) und dasig (verwirrt) wurde und vielleicht gar zu blazen (weinen) begann. Entschuldigen gab es selten; was sollte man auch tun, wenn der Podex mit Ohren an Poscha (Dachschaden) hat und so eift (blöd) daherredet.
* Oaschkappimusta
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