Fluchtgeschichten, Familiengeschichten

Heimat und Flucht Johann Kilianowitsch

Von: Johann Kilianowitsch | 5. April 2025, 23:52

Ich erzähle von meiner Kindheit - Heimat und Fluchtgeschichte 1939 - 1947
Aufgeschrieben von Marion Kilianowitsch

TEIL 4 – Bevorstehende Rückkehr in die Heimat, Johann Kilianowitsch
Im Sommer 1945 erreichte uns die Nachricht, dass wir Flüchtlinge wieder nach Hause dürften. Das war eine Vereinbarung zwischen den Amerikanern und Tito dem Präsident Jugoslawiens.
Wir verließen unsere Einzimmerwohnung, in der wir fast ein Jahr wohnten und Amerikanische Soldaten brachten uns auf einem Lastwagen von Obernberg und nach Ried auf den Güterbahnhof. Dort standen zwei, ungefähr 100 Meter lange Silolager. Beide Hallen waren leer nur Strohmatratzen lagen am Boden.
Wir warteten dort bis endlich ein Zug für unsere Rückreise nach Subotica bereit stand. Endlich war es soweit! Diesmal war es kein Viehwaggon sondern ein Personenzug. In diesen Zug durften nun die Flüchtlinge aus der ersten Halle einsteigen, dann war der Zug voll. Wir waren traurig und sahen uns sehr Leid, noch nicht in unsere Heimat zurückzukehren und noch länger zu warten. “Gott sei Dank!“ Wir konnten nicht ahnen, dass das ein großes Glück für uns war. Die Mutter mit den zwei Kindern aus unserem Nachbarzimmer in Obernberg, war bei diesem ersten Heimtransport dabei. Es vergingen acht Tage, vierzehn Tage und es war noch immer kein Zug für uns vorhanden.

Wir Kinder zogen viel in der Gegend herum und bekamen sehr schnell mit, wo in der Nähe des Güterbahnhofes etwas zu Essen aufzutreiben war. Nicht sehr weit von uns entfernt stand ein amerikanisches Offiziersheim und an schönen, sonnigen Tagen nahmen die Amis ihr Mittagessen immer draußen ein. Wir Buben gingen mit unserem Geschirr hin, um die Reste des Mittagessens zu bekommen. Auch österreichische Kinder warteten die Drängelei war groß, denn wenn einer der Amerikaner zu essen aufhörte, streckte jedes Kind gleich seine Schale hin, um den Rest zu ergattern. Damals ging ich immer Barfuß und bei einem solchen Gedränge trat mir einmal ein einheimischer Junge auf die Füße “au meine Fies!“ schrie ich. Alle Kinder lachten mich aus. Damals sprach ich noch nicht gut Deutsch und die Schwaben sagten zu den Füssen, immer „Fies“ also dachte ich, dass es Deutsch war.
Für meinen Vater sammelte ich immer fleißig Zigarettenstummeln die die Amerikanischen Soldaten auf den Boden warfen und brachte ihm diese. Er öffnete die Stummeln sammelte den Tabak zusammen und drehte sich daraus eine Zigarette.
Auf dem Güterbahnhof sahen wir viele deutsche und österreichische Kriegsgefangene in Viehwaggone die am Bahnhof abgestellt und später in Kriegsgefangenenlager transportiert wurden. Sie waren so hungrig, dass sie durch die kleinen Luftschlitze der Waggone die grade mal eine Hand breit waren sogar ihren Ehering hinaushielten nur um ein stück Brot zu dafür zu bekommen. Das haben natürlich viele Leute in Ried ausgenützt. Es war eine schwere Zeit auch den Einheimischen ging es nicht gut.
Nach einem Monat erfuhren wir, dass für uns kein Heimtransport mehr möglich war. Anfangs wussten wir nicht warum aber später stellte sich heraus, dass diejenigen die mit dem ersten Zug wegfuhren niemals zu Hause ankamen und gleich nach der ungarischen Grenze kurz vor Subotica in Lagern kamen dort verhungert oder umgebracht wurden. “Da kam keiner je wieder heraus!“
Das schreckliche Schicksal dieser Menschen erreichte natürlich Ried und von da an gab es für uns kein zurück mehr in unser Heimatland. Die Amis brachten uns nach Obernberg zurück, wir zogen wieder in unser altes Zimmer und erhielten nun auch das zweite Zimmer das die Mutter mit den zwei Kindern vorher bewohnt haben.
Im Schuljahr 1945/46 kam ein Volksdeutscher Lehrer nach Obernberg der ungarisch, serbisch und deutsch sprach. Dieser Lehrer unterrichtete Kinder in verschiedenen Gruppen. Die kleineren Kinder hatten am frühen Vormittag ein paar Deutschstunden und alle größeren Kinder ab Zehn Uhr Vormittag.
Ich versäumte zwei Jahre Schulzeit durch den Krieg, eine spätere Einschulung und durch die Flucht. Deshalb lernte ich sehr viel auch in den Sommerferien 1946. Der Sohn unserer Nachbarn, besuchte das Gymnasium in Ried und ich durfte mir von ihm in den Sommerferien alle Hefte der zweiten Klasse ausleihen um den ganzen Jahresstoff zu lernen. Damit half er mir sehr, aber da war noch jemand der mir sehr viel beim Lernen half, es war Hubert Feichtelbauer*. ich habe ihm diesbezüglich sehr viel zu verdanken! Tja, und mit unserem Pfarrer frischte ich in den Sommerferien mein Latein auf.
Die Prüfung hatte ich in den Fächern Mathematik, Latein und Deutsch. In Deutsch weis ich heute noch, dass ich bei der Prüfung ein großes Bild „Die Bauernhochzeit“ von Bruegel beschreiben musste. Ich schaffte die Prüfung nicht also besuchte ich die Hauptschule Obernberg. Nach einem Gespräch mit dem Direktor konnte ich die zweite Klasse Hauptschule überspringen und in der dritten Klasse meine Schulzeit vorsetzen.
In dieser Klasse lernte ich meinen Freund Erwin Berghammer* kennen. Erwin war sehr gut in Mathematik, aber leider kannte ich mich bei den Mathe Hausübungen nicht immer aus. In der Früh bevor die Stunde anfing fragte er mich immer: “Alles in Ordnung? Hast alles?“ wenn nicht, schrieb ich noch schnell von ihm ab.

*Hubert Feichtelbauer Journalist, schrieb das Buch: DER FALL ÖSTERREICH. ich traf ihn wieder bei einem Vortrag in Ried über die Politik in der Nachkriegszeit.
* Erwin Berghammer, Begründer der Möbelfirma Team 7
und nach wie vor mein bester Freund.

Auch In Englisch hatte ich natürlich große Schwierigkeiten. Ich fing ja bei Null an! Alle Schüler in der Klasse hatten schon zwei Jahre Englischunterricht. Anfangs meisterte ich es noch so einigermaßen, ich schrieb einfach von der Tafel ab und lernte alles auswendig. Zur Schularbeit übten wir einen Aufsatz: “A journey to Salzburg“. Jeder von uns kam einmal dran, ein paar Sätze dazu beizutragen und wir schrieben sie auf. Wir sagten diesen Aufsatz immer wieder auf bis wir ihn auswendig konnten. Alles lief hervorragend bei der nächsten Englischstunde alles war perfekt. Bis zur Schularbeit! Alle schrieben fleißig und nach dem langen ewigen Aufsagen konnte ich den Aufsatz zwar auswendig aber schreiben konnte ihn ich nicht. Ich schrieb den Aufsatz genau so, wie ich ihn immer hörte. Nach einigen Tagen bekamen wir die Schularbeit zurück, machten die Verbesserung in der Schule und ich wusste nicht wo ich anfangen sollte. Die Lehrerin ging durch die Bankreihen, kam bei mir vorbei und ich fragte sie, was ich machen soll? Sie antwortete “nichts“, sie machte mein Heft zu und ging. Nach der Englischstunde kam sie zu mir und sagte, dass ich heute nach der Schule in der Klasse bleiben soll. Meine Lehrerin kam dann später in die Klasse zurück und schlug vor, mir nach dem Unterricht, Nachhilfe in Englisch zu geben.
In Deutsch bekamen wir die Aufgabe einen Lebenslauf zu schreiben. Ich schrieb sehr viel. Der Lehrer ging in der Klasse herum, las da und dort mal was die Schüler so schrieben. Bei mir blieb er auch stehen und las. Dann meinte er “sag mal, stimmt das alles was du da schreibst?“ Er war sehr erstaunt und verwundert über meine Lebensgeschichte und über die Mittlerweile guten Deutschkenntnisse.
Ich las sehr viel, stand um fünf Uhr früh auf und lernte. In Geographie und Naturkunde zum Beispiel, lernte ich bereits die nächsten Seiten im Buch. So konnte ich immer während der nächsten Stunde, sehr gut mitarbeiten.

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