Pessimistische Expertensicht

Düstere Zukunft für Afghanistan

US-Soldaten verbrennen versehentlich den Koran oder richten in einem Dorf ein Massaker an. Die NATO-Truppen werden bei der afghanischen Bevölkerung immer unbeliebter. Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig ist für die Zukunft des Landes nicht optimistisch.

Mittagsjournal, 16.3.2012

Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig im Gespräch mit Gertrude Roten

Truppen zu schwach

Der vom Westen gestützte Präsident Hamid Karzai gibt sich wütend, weil es immer mehr Skandale gibt. Doch die Forderung Karzais, die ausländischen Truppen sollten schon ein Jahr früher abziehen, bezeichnet Thomas Ruttig als "propagandistisches Geklapper". Die USA hätten ohnehin bereits angekündigt, die meisten ihrer Kampftruppen bereits 2013 "in die zweite Reihe zu nehmen". Karzai wiederhole also nur Dinge, die die NATO eigentlich schon vorhat. Auf jeden Fall seien die afghanischen Streitkräfte weitaus zu schwach und würden weder 2013 noch 2014 die Aufgaben der ausländischen Truppen übernehmen können.

"Inklusivlösung" gefordert

Der Truppenabzug werde auch in zwei Jahren nicht vollständig sein, sagt Ruttig. Der Einsatz werde zu einer Ausbildungsmission umgestaltet und es werde auch weiterhin kämpfende Truppen in Afghanistan geben, ist der Experte überzeugt. Wichtiger wäre es, eine politische Lösung voranzutreiben und die Verzögerungstaktik aufzugeben. Die Lösung müssten die verschiedenen Gruppierungen Afghanistans finden - die Regierung, die Opposition, die Taliban, die Zivilgesellschaft inklusive der Frauenbewegung. Es müsse jedenfalls eine "Inklusivlösung" sein, die auch mit Kompromissen verbunden ist, aber keine schmale, von oben verordnete Lösung, "die nur zwischen Präsident Hamid Karzai und den Taliban zu einem Deal führt und alle anderen zurücklässt".

"Das ist kein Sandkasten"

Was nach zehn Jahren Afghanistan-Einsatz bleibt, beschreibt Ruttig so: Der Westen hinterlässt schwache Institutionen und eine große Anzahl bewaffneter Männer, die noch dazu unkontrolliert sind. "Das ist schon ein Rezept zum Bürgerkrieg", so Ruttig, "aber der ist nicht unausweichlich." Doch insgesamt ist der Experte nicht optimistisch, "weil ich sehe, dass alle beteiligten Seiten eine Menge Fehler machen und sehr lange brauchen, bis sie daraus lernen." Der Westen müsse aber genau hinsehen und erkennen, dass man hier mit den 30 Millionen Einwohnern eines Landes spielt. "Das ist kein Sandkasten", mahnt der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig.

Service

Afghanistan Analysts Network Seite von Thomas Ruttig