Inge Deutschkron, Journalistin und Schriftstellerin
Ich trug den gelben Stern
Inge Deutschkron, Journalistin und Schriftstellerin, lebt heute in Tel Aviv und Berlin. Sie setzt sich dafür ein, dass die "Stillen Helden" - Menschen, die Juden gerettet haben - vom deutschen Staat eine offizielle Würdigung erfahren.
8. April 2017, 21:58
Inge Deutschkron im Gespräch mit Michael Kerbler
Inge Deutschkron, Jahrgang 1922, erlebt die Jahre 1943 bis 1945 mit ihrer Mutter im Berliner Untergrund, um den Nazis zu entgehen. Nach Kriegsende arbeitet sie als Sekretärin für die Sozialistische Internationale in London. In den 1950er Jahren kehrt sie als Korrespondentin für eine israelische Zeitung nach Deutschland zurück. In den 1970er Jahren geht sie nach Israel. Heute lebt sie als Schriftstellerin in Tel Aviv und Berlin.
Michael Kerbler: Frau Deutschkron, wenn Sie in die deutschen Tageszeitungen schauen, oder am Abend die Fernsehnachrichten sehen, und es gibt Schlagzeilen wie "Junge Neonazis schänden jüdischen Friedhof", "Neonaziaufmarsch und Gegendemo in Augsburg", "Antisemitischer Anschlag auf Kindertagesstätte in Berlin", "Berliner Polizeischüler: Wir wollen nicht schon wieder vom Holocaust hören" - müssen wir uns damit abfinden, dass der Antisemitismus, dass Rechtsextremismus einfach Teil unseres Alltags ist?
Inge Deutschkron: Ich fürchte, in gewisser Hinsicht ja. Wir können nicht erwarten, dass das einfach aufhörte mit dem Ende der Naziära. Es gibt leider eine Nazipartei, die NPD. Es gibt leider zu wenig Information, zu wenig Ausbildung für junge Menschen, was eigentlich Antisemitismus ist. In den Schulen wird nicht die Geschichte des Antisemitismus, oder der Juden in Deutschland gelehrt. Es wird gelehrt "Der Holocaust" - natürlich eine gute Sache. Aber man muss doch eigentlich den Grund, die Ursachen auch mal sehen. Und natürlich hat das auch damit zu tun, die jungen Kerle, die da so auf Nazi sich ausrichten, die wissen eigentlich gar nichts. Sie wissen nur, sie brauchen ein Feindsymbol.
Sie haben jetzt die NPD angesprochen. Die hat erstmals seit der deutschen Wiedervereinigung im rechtsextremistischen Lager die Republikaner überholt. 7000 Mitglieder. Ich frage mich dennoch: Übertreiben die Medien? 7000 von 82 Millionen Deutschen. Oder haben Sie eher das Gefühl, es wird etwas runtergespielt.
Also ich glaube weder noch. Außerdem ist es völlig egal, ob es 7000 oder 5000 sind, es ist so oder so schlimm genug. Was viel schlimmer ist, und was Sie jetzt nicht erwähnt haben, und was ich besonders beachtet sehen möchte, ist die Tatsache, dass es meistens Menschen im Osten sind. In der ehemaligen DDR. Dort hat man zum Beispiel nichts gelehrt über den Holocaust. Ich merke das, wenn ich Führungen mache. Wenn ich mit jungen Menschen spreche, kann ich sofort sagen, wer aus der DDR kommt und keinen Schimmer hat, was da geschehen ist. Und die Juden wurden ja auch ausgegrenzt in der DDR. Selbst als wir nach der Wende in die ehemaligen KZs kamen in der DDR, da stand: Hier wurden Polen, Russen, Franzosen, Holländer vernichtet - Juden kamen gar nicht vor. Wenn Sie die hohen Zahlen nennen, die sind alle aus der DDR. Das ist eine tragische Situation. Damit müssen wir fertig werden.
Der April 1933 begann mit einem Aufruf der Nazis, jüdische Geschäfte zu boykottieren. Er begann für Ihre Familie auch damit, dass erstmals Freunde aus dem unmittelbaren Freundeskreis verhaftet worden sind. Und dennoch schreiben Sie in Ihrem Buch, es hätten die meisten Juden in Berlin für jene, die Deutschland verlassen wollten oder verlassen haben, nur ein mildes Lächeln übrig gehabt. Warum war die Vorahnung auf das, was auf sie zukommt, schwächer als die Hoffnung?
Sie hatten gar keine Vorahnung. Sie haben überhaupt nicht darüber nachgedacht. Sie waren Deutsche. Sie fühlten sich als Deutsche. Sie fühlten sich total integriert. Sie hatten ihre Geschäfte, ihre Unternehmungen, ihre Büros. Und da sollte etwas passieren? Das schien ihnen ganz irrsinnig. Es gab so gut wie niemanden, der gesagt hätte, um Gottes Willen, hier passiert was. Junge Menschen waren es ja auch im Wesentlichen, die 1933 weggegangen sind, weil sie eben nicht Abitur machen durften, nicht studieren durften, die kriegten das zu fühlen. Und dann sagten die meisten: Mein Gott, dieser Hitler, das dauert drei Monate. Nun muss ich erklären, warum diese drei Monate. In der Weimarer Republik, die ja davor war, haben die Regierungen fast alle drei Monate gewechselt! Koalitionen und so. Und da sagte man dieser Hitler, und die sind ja sowieso Verbrecher, nicht wahr, und das deutsche Volk wird den gar nicht annehmen. "Drei Monate, dann ist er weg", das war der Satz. Ich sage immer, diese drei Monate haben mich verfolgt. Denn wann immer irgendwelche Probleme waren mit den Nazis, dann hieß es immer "na, also jetzt nur noch drei Monate, dann sind sie weg". Das hab ich zwölf Jahre lang gehört. 1933 hatte keiner eine Vorahnung.
Sie haben ja erst spät von Ihrer Mutter erfahren, dass Ihre Familie jüdisch war. Sie sind sozusagen weltlich erzogen worden, Religion hat keine Rolle gespielt. Haben Sie mit dem Begriff denn etwas anfangen können?
Nein! Also ich sage immer: die Nazis haben mich zur Jüdin gemacht. Denn es hat mir nie etwas bedeutet, und ich gestehe, dass ich bis zum heutigen Tag der Religion fern stehe. Ich bin so erzogen worden, und dann kam natürlich mein Schicksal hinzu. Das Endergebnis ist, dass ich nur an eines glaube - und das bin ich.
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 26. April 2007, 21:01 Uhr
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