Digitale Technologien verändern Kultur und Wissenschaft
Die Ökonomie des Teilens
Die Geschäftsmodelle der Kulturwirtschaft stecken im digitalen Zeitalter in der Krise. Neue Lösungen müssen gefunden werden. Wo die Probleme liegen und wohin sich die neue kulturelle Ökonomie entwickeln könnte, wurde bei der Ars Electronica diskutiert.
8. April 2017, 21:58
Hat früher jemand aus einem Geschäft Schallplatten oder CDs mitgenommen, ohne zu bezahlen, war eindeutig klar, dass das Diebstahl ist. Heute geschieht Ladendiebstahl still, binnen Sekunden und häufig ohne jegliche Schuldgefühle - durch einen einfachen Klick auf ein Download-File.
Im digitalen Zeitalter können Musik, Videos, Texte und Bilder nahezu verlustfrei kopiert und nahezu kostenfrei verbreitet werden. Das Internet hat damit die Produktion und Distribution von Kulturgütern und die Möglichkeiten, mit geistigem Eigentum Geld zu verdienen, verändert, aber auch das Bewusstsein für geistiges Eigentum.
Wenn Eigentum an seine Grenzen stößt
Die Verwertungsindustrie reagierte in den vergangenen Jahren mit Urheberrechtsklagen und hohen Schadenersatzforderungen gegen Musiktauschbörsen und ihre Nutzer. Die Einhaltung des Urheberrechts soll mit technischen und legistischen Maßnahmen erzwungen werden, die immer mehr in die Grundrecht eingreifen.
All diese Entwicklungen zeigen ganz klar, dass die Geschäftsmodelle der Kulturwirtschaft im digitalen Zeitalter in der Krise stecken und neue Lösungen gefunden werden müssen. Wohin sich eine neue kulturelle Ökonomie entwickeln könnte, wurde bei der Ars Electronica diskutiert, die von 4. bis 8. September 2008 in Linz stattgefunden hat und den Titel trug: "A new cultural economy. Wenn Eigentum an seine Grenzen stößt."
Vorteile des Teilens
Der japanische Investor, Unternehmer und Aktivist im Bereich des Internet, Joichi Ito, hat das Symposium kuratiert. Er ist in zahlreichen Gruppierungen tätig, die digitale Technologien positiv sehen - als Werkzeuge zum Teilen: "Die meisten Menschen unterschätzen den Effekt des Teilens und dessen wirtschaftliche Bedeutung immer noch. Bisher gab es einen Kampf zwischen den Positionen 'alle Rechte vorbehalten' und 'keine Rechte vorbehalten'. Aber es gibt auch 'einige Rechte vorbehalten'. Ich denke, wir sind nun endlich in der Phase angelangt, wo sich Wissenschaftler, Unternehmer, Juristen und Künstler zusammensetzen und darüber diskustieren können. Ars Electronica war immer sehr gut darin, diese Schlüsselmomente zu finden, an denen etwas thematisiert werden kann."
Die Gemeindewiese wird digital
Zusammenzuarbeiten, Ressourcen gemeinsam zu nutzen und die Früchte der Arbeit zu teilen ist wahrlich nichts Neues. So ist im Hochmittelalter der Begriff "Allgemeinde" für eine Gemeindeflur entstanden, die von allen Dorfbewohnern als Weide für ihre Tiere genützt werden durfte. Der daraus entstandene Begriff "Allmende" oder "Allmend" existiert in Deutschland und der Schweiz heute noch und bezeichnet eine Rechtsform gemeinschaftlichen Eigentums, bei dem es sich üblicherweise um Wiesen, Wald oder Gewässer handelt.
Aus diesem traditionellen Wort ist in den vergangenen Jahren der Begriff "Wissensallmende" oder "digitale Allmende" entstanden. Er bezeichnet Wissen, Informationen und Kulturgüter, die allen Menschen frei zur Verfügung stehen sollen. Üblicherweise bezieht er sich auf den Zugang zu diesen Gütern über das Internet, weil digitale Technologien und das World Wide Web die Zusammenarbeit im Wissensbereich, sowie den Austausch von Informationen und den Zugriff auf Informationen wesentlich erleichtert haben.
Das bekannteste und erfolgreichste Beispiel für eine Wissensallmende ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia, die in mehr als 30 Sprachengruppen von freiwilligen, unbezahlten Autoren geschrieben wird und jedem Menschen frei zur Verfügung steht, der direkt oder indirekt Zugang zum Internet hat. Wikipedia sei das beste Beispiel dafür, wie erfolgreich Teilen sei, meint Joichi Ito.
Mission Future
Die sogenannte sharing economy, also die Idee, durch Teilen einen Wert zu generieren - sei es ein ideeller oder ein materieller - ist vereinzelt auch schon zur "old economy" durchgedrungen, also etablierten Firmen. Diese "neuen" Unternehmer trafen sich im Rahmen der Ars Electronica in Linz zu einem Erfahrungs- und Gedankenaustausch. Christoph Santner, Geschäftsführer der Innovationsagentur The Futurekitchen mit Sitz in Hallein, brachte sie unter dem Titel "Mission Future" zusammen.
Neue Generation von Kulturproduzenten
Felix Stalder, der in Wien lebt und in Zürich an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Medienökonomie unterrichtet und erforscht, sieht in seinen Studenten diese neue Generation an Kulturschaffenden und Unternehmern im Kulturbereich heranwachsen.
Junge Menschen wachsen bereits mit Musiktauschbörsen, der Fotoplattform Flickr, der Videoplattform YouTube, der Online-Enzyklopädie Wikipedia und vielen anderen Angeboten und Möglichkeiten auf. Sie sehen auch, dass Musiker wie Radiohead oder Nine Inch Nails ihre neuesten Alben nicht über eine renommierte Plattenfirme, sondern über das Internet verkaufen, gegen freie Spenden abgeben oder unter alternativen Lizenzmodellen vertreiben und ihr Einkommen nicht mit dem CD-Verkauf, sondern mit Live-Auftritten oder dem Verkauf von Fanartikeln verdienen.
Kampf um alte Rechte
Die neuen Unternehmens- und Produktionsformen bedrohen jedoch die alte Ökonomie, die sich seit einigen Jahren massiv dagegen wehrt. Etablierte Künstler und die großen Firmen der Verwertungsindustrie - vor allem Musikverlage und die Filmindustrie - bangen seit einigen Jahren um ihr Geschäft. Sie klagen deshalb Musiktauschbörsen und ihre Nutzer und fordern hohe Schadenersätze und suchen nach technischen Möglichkeiten zur Beschränkung der Nutzung ihrer Waren.
Dazu zählen Systeme zum sogenannten Digital Rights Management, abgekürzt DRM, die ein Kopieren einer Musik-CD, einer DVD oder eines mp3-files unmöglich machen sollen. Da diese Schutztechnologien immer wieder von geschickten Menschen mit Software-Kenntnissen geknackt werden konnten, wurde mit dem Copyright Treaty der Weltorganisation für geistiges Eigentum WIPO erwirkt, dass das verboten ist.
Alle Industrieländer, außer der Schweiz, haben mittlerweile entsprechende nationale Gesetze erlassen. Da auch das nicht durchgesetzt werden kann, gehe man jetzt noch weiter in der Einschränkung der Rechte der Konsumenten, berichtet der Soziologe und Medienforscher Volker Grassmuck, der an der Berliner Humboldt Universität tätig ist.
Es werde nun überlegt, "Raubkopien" auf Seiten der Internet Service Provider aus dem Datennetz herauszufiltern oder den Datenstrom von Tauschbörsen zu verlangsamen. Das Lobbying der Verwertungskonzerne gehe sogar so weit, dass mittlerweile sogar ein Gesetzgebungsprozess läuft, mit dem bestimmt werden soll, dass Menschen, die drei Mal bei einer Urheberrechtsverletzung erwischt werden, von der Internetnutzung ausgeschlossen werden können. In Zeiten, in denen das Internet schon fast so wichtig sei wie ein Wasseranschluss, bedeute das "die digitale Todesstrafe", meint Volker Grassmuck.
Widerstand regt sich
Das erste Urheberrecht, das sogenannte Statute of Anne, entstand 1710 in Großbritannien und sollte dazu dienen, das Lernen zu unterstützen, indem Autoren mit ihren Büchern Geld verdienen und weitere Bücher schreiben konnten. Im Laufe ihrer Geschichte wurden Urhebergesetze bezüglich der Werkformen und der Schutzfristen immer weiter ausgedehnt, mittlerweile eben auch bezüglich der Durchsetzungsmöglichkeiten.
Manche meinen, dass das Urheberrecht mittlerweile das Gegenteil von dem bewirke, was es ursprünglich bewirken sollte, nämlich die Urheber zu unterstützen und Innovation zu fördern. Leonhard Dobusch, der sich derzeit am Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung in Köln mit dem Streit um das Urheberrecht beschäftigt, ist trotzdem optimistisch, dass sich die Situation wieder zum Positiven für Kunst, Kultur und Forschung wenden wird.
Mehr zum Festspielsender Ö1 in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 10. September 2008, 19:05 Uhr
Links
Ars Electronica 2008
Joichi Ito
Leonhard Dobusch
Volker Grassmuck
Felix Stalder
The FutereKitchen
Thomas Macho
Statute of Anne
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Ingo Frost