Wo Kulturen aufeinander trafen
Die Anfänge des Jazz
Der Jazz entstand aus der Verschmelzung unterschiedlichster Kulturen, aus schwarz und weiß, aus europäischen und afrikanischen Traditionen, aus Blues, Gospel, Volks- und Militärmusik. Möglich wurde das alles in New Orleans.
8. April 2017, 21:58
New Orleans um 1900: die Stadt war ein Schmelztiegel der unterschiedlichsten Völker und Kulturen. Einwanderer aus ganz Europa, vornehmlich aus Frankreich, Spanien (den früheren Kolonialmächten), England und Italien standen zwei Gruppen von Afroamerikanern gegenüber: zum einen ehemalige Sklaven, die nach dem Sieg der Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg frei wurden (beziehungsweise deren Nachkommen), zum anderen den Kreolen, oft Nachkommen von Franzosen und deren Sklavinnen, die weitgehend nach der französischen Kultur lebten und auch französische Namen trugen (zum Beispiel Sidney Bechet oder Ferdinand Joseph La Monthe - besser bekannt als Jelly Roll Morton).
Der Blues: Klagelied und Arbeiterlied
Die früheren Sklaven brachten vor allem das Element des Blues in den Jazz. Der Blues war Klagelied, Arbeiterlied, er war Ausdruck des täglichen Lebens, gesungen auf den Feldern Louisanas (field hollers) und in den Strassen der Städte. Der Blues war der weltliche Gesang der früheren Sklaven, die geistlichen Gesänge waren die Gospels (in der Stadt) beziehungsweise die Spirituals (im Land).
Von den Europäern kam das Instrumentarium (die Blasinstrumente im Jazz gehen auf deren Verwendung in den Militärkapellen zurück) sowie der Marschrhythmus, dazu europäische Volksliedweisen, über die dann in afroamerikanischer Art "dirty" improvisiert wurde.
Viel Arbeit für Musiker
Die Entstehung des Jazz wäre aber nicht möglich gewesen ohne dem Leben in New Orleans selbst: In der Stadt wurde überall musiziert, insbesondere im Vergnügungsviertel Storyville, das von 1896 bis 1917 bestand. In den Clubs, "Honky Tonks" (schäbige Kneipen) und "sporting houses" (noble Bordelle) wurde oft 24 Stunden am Tag musiziert.
Arbeit gab es für Musiker in Hülle und Fülle, wie der Gitarrist Danny Barker (1909 - 1994) erzählte: "Es gab zahllose Vergnügungszentren, die Musikern Arbeit boten, nicht eingerechnet private Partys, Bälle, Soirees, Bankette Hochzeiten, Begräbnisse, Taufen, Erstkommunionen, den zahlreichen Piknicken am See, Feste am Land und Firmenfeiern. Während der Karnevalsaison ließ jeder Gastgeber, und war seine Party auch noch so klein und unwichtig, eine Band spielen, wobei jeder danach trachtete, seinen Favoriten aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu engagieren, zum Beispiel Joe King Oliver, der bei mir um die Ecke wohnte."
Louis Armstrongs Arbeitgeber
Joe King Oliver war einer berühmtesten Musiker im damaligen New Orleans, aber auch später in Chikago, wo auch er hinzog, nachdem 1917 das Vergnügungsviertel "Storyville" wegen des 1. Weltkriegs geschlossen wurde und viele Musiker arbeitslos wurden.
1922 stieß Louis Armstrong zur King Olivers Creole Jazz Band und wurde dort berühmt. Weitere Berühmtheiten waren Sidney Bechet (Klarinette), Tom Ladnier (Kornett), Kid Ory (Posaune) oder der erwähnte Jelly Roll Morton (Klavier).
Der lauteste Musiker der Stadt
Zur einer sagenumwobenen Legende des alten New Orleans wurde aber der Kornettist Buddy Bolden. Er soll um 1900 der lauteste und beste Musiker der Stadt gewesen sein - Aufnahmen gibt es von ihm keine. Der Autor Michael Ondaatje ("Der englische Patient") hat ihm in seinem Roman "Buddy Boldens Blues" ein literarisches Denkmal gesetzt. Zur Zeit wird gerade ein Film über Bolden gedreht, produziert von Wynton Marsalis.
Alle erwähnten Musiker waren Afroamerikaner. Trotz ihrer Dominanz wurde die erste Jazzaufnahme der Geschichte von einer weißen Band gemacht: von der Original Dixieland Jazzband des italienischstämmigen Kornettisten Nick La Rocca. Die Aufnahmen entstanden 1917 während eines Gastspiels der Band in New York. Eine Legende besagt, dass vor diesem Jahr dem bedeutenden schwarzen Kornettisten Freddie Keppard eine Plattenaufnahme angeboten worden sei, dieser hätte sie aber abgelehnt mit dem Argument, man könne so seine Musik stehlen.
Mehr zu New Orleans in oe1.ORF.at
Versunkene Jazzmetropole
Dr. John
Die ganze Erde auf dem Tisch
The Sound of New Orleans
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 23. April bis Donnerstag, 26. April 2007, 9:45 Uhr
Buch-Tipps
Michael Ondaatje, "Buddy Boldens Blues", dtv, ISBN 9783423123334
Abbi Hübner, "Louis Armstrong - Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten", Oreos, ISBN 9783923657353
Ekkehard Jost, "Sozialgeschichte des Jazz", Zweitausendeins, ISBN 9783596229727
Joachim Ernst Berendt/Günther Huesmann, "Das Jazzbuch", Fischer, ISBN 9783596105151
CD-Tipps
Jelly Roll Morton, "The Complete Library Of Congress Recordings" Rounder Records, ASIN B000AOF9W0
Louis Armstrong, "A Musical Autobiography", Verve Records/Universal, ASIN B00005LAND