Der Schriftsteller Dimitré Dinev

Engel

Vor wenigen Tagen hatte sein Stück "Das Haus des Richters" Premiere. Der auf Deutsch schreibende, aus Bulgarien stammende Dimitré Dinev war Michael Kerblers "Zeitgenosse im Gespräch" - im Wiener Akademietheater, zwei Tage vor der Premiere.

"Heimat wird unter den Menschen ausgemacht. Das Wort ist meine Heimat", sagt Dimitré Dinev und distanziert sich damit von nationalen oder geografischen Zugehörigkeiten. 1968 in Bulgarien geboren, besuchte er auf Wunsch des Vaters ein Gymnasium, in dem er Deutsch lernt - die Sprache, in der er schreibt.

Dinevs neues Stück "Das Haus des Richters" wird derzeit, von Kritik und Publikum gelobt, im Akademietheater gespielt. Zwei Tage vor der Premiere hat Michael Kerbler mit Dimitré Dinev gesprochen.

Michael Kerbler: Herr Dinev, in "Engelszungen" steht am Anfang ein steinerner Engel. In Ihrem Theaterstück "Haut und Himmel" hat der Protagonist am - in Wien sagt man - Allerwertesten Engelsflügel tätowiert. Der erste Satz im neuen Stück "Das Haus des Richters" heißt: "Es geht ein Engel durch den Raum". Was fasziniert Sie so an Engeln?
Dimitré Dinev: Ich hab ja auch, unter anderem, als Restaurateur gearbeitet. Ich hab so viele Engel vergoldet - mal die Flügel, mal die Popos -, so dass man sagen kann, ich kenn mich ein bisschen mit dem Paradies aus. Aber leider wurde ich nicht von dort bezahlt, das war das Problem. Deswegen kehren sie immer wieder in meine Prosa zurück, in der Hoffnung, dass es sich irgendwann einmal auszahlt.

Bis jetzt sind Sie vom Himmel noch nicht dafür belohnt worden?
Naja, ich hab es noch nicht so deutlich gespürt.

In "Engelszungen" kommen die Engel noch einmal vor. Ist das eine bulgarische Weisheit, dass die Engel über einen wachen, wenn man auf der rechten Seite schläft? Und wenn man auf der linken Seite schläft, kommen einen die Teufel besuchen?
Ja ja, so erzählt man in Bulgarien. Ich hab das als Kind so erfahren und war sehr nachdenklich. Ich wollte mit einem der beiden reden, aber niemand ist so richtig gekommen... Es gab eine sehr religiöse Familie in der Nachbarschaft, die waren so überzeugt davon, dass sie mir in der Früh oft Federn gezeigt haben und gesagt: Schau, die haben sich heute Nacht gestritten. Es ist tief im Volksglauben verwurzelt, vielleicht mehr in den Dörfern. Interessant ist, dass so etwas parallel existiert hat mit einer nackten Aufklärung. Das ist ja das Faszinierende an all diesen Geschichten. Bei all diesem volkstümlichen Glauben haben die Kommunisten nicht so hart eingegriffen. Bei den Engeln schon! Die Engel waren zu viel. Weil die wollten ja selber welche sein. Sie haben ihre eigenen Engel aufgestellt, die waren aus Beton und Eisen.

Haben Sie einen Schutzengel gehabt?
Ich glaube schon. Mehrere hab ich gehabt!

Von Bulgarien in die Tschechische Republik, von dort im Schneetreiben über die Grenze, ohne hops genommen zu werden, und dann landet man in einem Gasthaus, weil der Freund schon so erschöpft ist. Und dann ist da so ein schrecklicher Engel: einer von den Herrschaften ruft die Polizei. Und dann gab's wieder einen Schutzengel?
Ja. Die Müdigkeit hatte so eine Stufe erreicht, da kann man nicht mehr denken. Aber das Gute an dieser Müdigkeit: man hat auch keine Angst. Sonst hätte ich sicher was Falsches gemacht. Ich war also schon so müde, dass, als ich nach meinen Papieren gefragt worden bin, hab ich so gegriffen und zufällig meinen Personalausweis erwischt. Der ist grün und klein, und der österreichische Beamte hat in seinem Leben so etwas noch nie gesehen. Aber er wollte es nicht zugeben. Und es ist alles auf Kyrillisch - auch eine Sprache, die ihm nicht so vertraut war. Er schaut also den Ausweis an, sieht mein Foto, das schaut mir ähnlich (obwohl ich nach dieser Grenze wie ein Gespenst ausgeschaut hab), und dann sieht er die Buchstaben, na gut, dann fragt er, woher wir kommen. "Aus Mazedonien", also Jugoslawien. Ich wusste, die brauchen kein Visum, und er hat sich das Wappen bemerkt - es gibt keinen Ausweis ohne Wappen -, und dann hat er so einen Stern oben gesehen und hat gesagt: "Was macht dieser Stern da?" Hab ich gesagt: "Jugoslawien ist ein kommunistisches Land". Und der hat gesagt: "Also bitte, Sie können jetzt weiter marschieren".

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 19. April 2007, 21:01 Uhr

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CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop

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