Vom Wohnen in Gemeinschaft

Cohousing

Cohousing-Siedlungen sind Mini-Dörfer mit knapp hundert Bewohnern. Die Idee stammt aus Dänemark und hat sich in den letzten Jahrzehnten vor allem in den USA und Skandinavien ausgebreitet. In Österreich entsteht gerade das zweite Projekt.

Tauschen als wichtiges Prinzip

Die erste Cohousing-Siedlung Österreichs liegt in Gänserndorf, 20 km von Wien entfernt. 49 Erwachsene und 30 Kinder wohnen dort. Die meisten von ihnen kommen aus der Großstadt. Sie haben das Leben dort als Vereinsamung empfunden und wollten das anonyme Stadtleben gegen eine moderne Dorfkultur tauschen.

Großfamilie wird reinszeniert

Mit der Auflösung traditioneller Strukturen wie etwa der Großfamilie sind Sicherheiten verloren gegangen, erklärt Trend- und Zukunftforscher Andreas Reiter. Wohnen in der Gemeinschaft sei ein Versuch, diese teilweise wieder herzustellen. Sie bieten Unterstützung im Alltag und emotionalen Rückhalt.

Das Gemeinschaftsmodell Cohousing reinszeniert einerseits die Großfamilie, gibt aber auch genügend Raum für Rückzug in den Privatbereich. Die Bewohner leben "Together Apart", also zusammen, aber doch getrennt.

Cohousing-Idee stammt von Alleinerzieherinnen

Die Ursprungsidee stammt von allein erziehenden Frauen, die sich in den 1970er Jahren in Dänemark zu einem Wohnprojekt zusammengefunden haben. Ziel war es, sich gegenseitig bei der Kinderbetreuung zu unterstützen.

Mittlerweile wurden weltweit Hunderte Gemeinschaftssiedlungen nach dem Modell errichtet - vor allem in den USA und Skandinavien. In Dänemark gibt es heute 240 Cohousing-Projekte. Dabei reicht die Palette von ganz einfachen Siedlungen bis hin zu Luxusprojekten mit eigenem Meisterkoch.

Unterschied zu anderen Gemeinschaftsprojekten

Cohousing baut auf Erfahrungswerten und einer Studie der US-amerikanischen Architektin Kathryn McCamant auf. Sie hat Empfehlungen ausgearbeitet, unter welchen Bedingungen gemeinschaftliches Wohnen am besten funktioniert.

Wichtig ist ihrer Meinung nach eine Größe von 30 bis 40 Wohneinheiten und die gemeinsame Planung. Eine Cohousing-Siedlung hat jahrelange Vorlaufzeiten: Eine Gruppe von Menschen findet sich zusammen, sucht ein Grundstück und plant gemeinsam den Bau.

Architektur soll Begegnung fördern

"Die Architektur ist ein wichtiger Faktor beim Cohousing", sagt der Architekt Helmut Deubner. Er ist Initiator und Bewohner der Siedlung "Lebensraum" in Gänserndorf. Sie müsse sicherstellen, dass die Kommunikation zwischen den Bewohnern funktioniere. Es dürfe keine toten Ecken geben.

Deubner hatte vor sieben Jahren die Idee für das Projekt. Fertiggestellt wurde die Wohnhausanlage in Niedrigstenergiebauweise mit Holzverkleidung und Sonnenkollektoren im Herbst 2005.

Geben und nehmen

Alle Bewohner sind Vereinsmitglieder. Manche nehmen regelmäßig an Vereinssitzungen und Veranstaltungen teil, andere seltener. Die Wohnungen dienen als Rückzugsort.

In den Gemeinschaftsräumen finden regelmäßig gemeinsame Essen oder Lesungen statt. Ein Tauschkreis erleichtert den Alltag: Da werden Reparaturarbeiten gegen Shiatsu-Stunden oder Volleyballtraining getauscht. Die Gemeinschaft bietet ein engmaschiges soziales Netz - von Hilfe bei der Kinderbetreuung bis zur Pflege im Krankheitsfall.

Viele Diskussionen, viele Konflikte

"Das Zusammenleben erfordert schon eine gewisse Lust an der Auseinandersetzung mit anderen Menschen", sagt Helmut Deubner, denn es werde viel diskutiert. Besonders die Anfangsphase sei sehr stürmisch gewesen, erinnert sich Deubner. Zweimal habe man sogar externe Mediatoren geholt.

Mittlerweile wäre es aber schon ruhiger geworden. Helmut Deubner glaubt, dass Cohousing eine Wohnform der Zukunft sein könnte. In dem Ort Wald, in der Nähe von St. Pölten, entsteht gerade das zweite Cohousing-Projekt Österreichs mit seiner Unterstützung.

Hör-Tipp
Moment, Mittwoch, 18. April 2007, 17:09 Uhr

Links
Projekt Lebensraum
Atelier Deubner
The Cohousing Company