Ungebrochene Faszination
Jazz vibrafonistisch
Der Sound des Vibrafons widersetzt sich der individuellen Aneignung, dennoch ist seine Faszination unter Jazzern ungebrochen. Das einst zufällig für das swingende Metier entdeckte Instrument hält seinen Platz in allen Sparten improvisierter Musik.
8. April 2017, 21:58
Lionel Hampton und Red Norvo heißen die Ahnherrn, milt Jackson, Bobby Hutcherson und Gary Burton die Stil bildenden Nachfolger des Jazz-Vibrafons: Und noch heute hält das einst zufällig für das swingende Metier entdeckte Instrument seinen Platz in allen Sparten improvisierter Musik.
Improvisation bedeutet ja bekanntlich nicht nur die Fähigkeit zu spontanem musikalischem Ausdruck, sie bedeutet eine Lebenshaltung - und von Menschen, in denen beides zusammen fällt, können scheinbar umso leichter neue Impulse, Ideen ausgehen.
Der Erfinder des Scat
Impulse kamen auch von Louis Armstrong, der den Scat-Gesang erfand, als ihm anno 1926 im Zuge einer Schallplattenaufnahme der Text entfiel und er die entsprechende Passage mit improvisierten Wortsilben überbrückte. Und der fünf Jahre später, als er in den NBC-Studios in Los Angeles weilte, den für die Aufnahmen angeheuerten, ortsansässigen Schlagzeuger bat, er möge doch das zufällig in einem Winkel des Raumes stehende, Xylofon-ähnliche Instrument mit Metallplatten und vertikalen Resonanzröhren zum Klingen bringen.
Lionel Hampton, damals 23 Jahre jung, tat, wie ihm geheißen - und wurde augenblicklich vom hellen, leichten Sound des Vibrafons gepackt, das er in diesem Moment für den Jazz entdecken und mit dem er den Rest seines langen Lebens - er starb 2002 94-jährig - identifiziert werden sollte.
Pianistisch, perkussionistisch und bläserorientiert
Vor allem durch seine Mitgliedschaft im Benny-Goodman-Quartett ab 1936 popularisierte Lionel Hampton das Vibrafon, das etwa 1916 in den USA als Weiterentwicklung des hölzernen Marimbafons entstanden war und dessen elektrisch betriebene Röhrendrehscheiben für den charakteristischen Vibrato-Effekt sorgen.
Zwei Spielweisen
Hampton und Kollege Red Norvo, der schon früh die Vier-Schlägel-Technik einführte, und die in ihrer - vereinfacht ausgedrückt - perkussionistischen beziehungsweise pianistischen Spielweise gleich auch zwei unterschiedliche Herangehensweisen an das Instrument verkörperten, heißen die Ahnväter des Jazz-Vibrafons, das bis heute seinen Fixplatz im Instrumentarium improvisierter Musik beibehalten hat und hier, ähnlich dem Saxofon, erst zu Ehren als Soloinstrument kam, obwohl sich der etwas starre Klang der Metallplatten weitaus schwieriger - vor allem über die Phrasierung - individualisieren lässt als der eines Blasinstruments.
Wohl auch deshalb ist die Zahl der Stil bildenden Vibrafonisten eher gering geblieben. Indessen: Es gibt sie. In den 1950er-Jahren war Milt Jackson, bekannt geworden als Mitglied des Modern Jazz Quartet und durch weiche, bläserartig phrasierte Linien, die zeitgenössische Stimme des Jazz-Vibrafons, in den 1960ern folgten Bobby Hutcherson (er tritt am 27. Juni 2007 im Rahmen des Jazzfest Wien auf) und Gary Burton.
Die österreichische Tradition
Heute werden die Qualitäten des Vibrafons sowohl im Latin-Jazz geschätzt, wo es Cal Tjader eingeführt hat, um in Dave Samuels einen vitalen Nachfolger zu finden, als auch im traditionsverwurzelten Eklektizismus eines Stefon Harris wie im Kammer-Jazz des Christian-Muthspiel-Trios, das mit dem französischen Vibrafonisten Franck Tortiller (dem aktuellen Leiter des Orchestre National de Jazz) den Spuren der - viel zu früh verstorbenen - österreichischen Jazzgranden Harry Pepl und Werner Pirchner folgt.
Pirchner pflegte seinen selbst konstruierten "Tenor Vibes" höchst individuelle Klänge zu entlocken - und avancierte damit zum Paten vieler ausgezeichneter österreichischer Vibrafonisten von Woody Schabata und Berndt Luef über Tom Henkes bis hin zu Flip Philipp und Martin Breinschmid. Ein Ende der beeindruckenden Nachhallzeit jener Metallplatte, die Lionel Hampton einst zufällig in L.A. angeschlagen hat, ist nicht abzusehen.
Mehr zu Christian Muthspiel in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Jazztime, Dienstag, 19. Juni 2007, 21:30
CD-Tipps
Dave Samuels & Caribbean Jazz Project, "Mosaic", Concord, B000FZESZI
Stefon Harris, "African Tarantella - Dances With Duke", Blue Note, B000HKDEAQ
Franck Tortiller, Michel Godard, Patrice Héral, "ImpertinAnce", CamJazz, B000JLQSU6
Christian Muthspiel Trio "Against The Wind - The Music of Pirchner & Pepl", Universal Music, 0602517229419
Berndt Luef & Jazztet Forum Graz, "On That Score", FoSta
Christopher Dell, "The World We Knew - Celebrating Bert Kaempfert", ACT Music
Veranstaltungs-Tipp
Bobby Hutcherson Quartet, Jazzfest Wien, Mittwoch, 27. Juni 2007, 19:30 Uhr, Kammeroper Wien
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