
DPA/ERNST VON SIEMENS MUSIKSTIFTUNG
1931 – 2025
Klaviervirtuose Alfred Brendel gestorben
Kaum ein Pianist hat so das "Nachdenken über Musik" oder die "Schule des Hörens" gepflegt wie Alfred Brendel. Der österreichische Pianist und prägende Interpret des 20. Jahrhunderts, ist am 16. Juni 2025 im Alter von 94 Jahren gestorben, wie sein Sprecher der BBC bestätigte. 60 Jahre lang – bis 2008 - stand er als Solist auf der Bühne.
17. Juni 2025, 18:28
Der ebenso charismatische wie humorvolle Musiker und Träger des "Praemium Imperiale" sprach über seine treuesten Begleiter ebenso tiefgründig, wie er sie gespielt hat: Beethoven, Haydn und Mozart, Liszt und Schumann sowie Schubert - das Attribut des „Klangphilosophen“ wurde ihm gerne zugeschrieben.
Brendel war wesentlich mitbeteiligt an der Einbürgerung der Schubert-Sonaten und des Klavierkonzerts von Schönberg im internationalen Konzertrepertoire. Sein Spiel, das tiefem Empfinden ebenso wie scharfer Analytik selbstverständlich verpflichtet war, machte ihn weltberühmt. Seit den frühen 1970er Jahren lebte der vielfach ausgezeichnete Brendel in London - wo er nun auch verstarb. "Ich bin nicht jemand, der Wurzeln sucht oder braucht. Ich möchte so kosmopolitisch wie möglich sein. Ich ziehe es vor, zahlender Gast zu sein", hatte er zu seinem 80. Geburtstag der "Westdeutschen Zeitung" beschieden.
Geboren in Mähren
Brendel, der einer österreichisch-deutsch-italienisch-slawischen Familie entstammt, wurde am 5. Jänner 1931 in Loucne nad Desnou (Wiesenberg) in Mähren geboren, wo er seit 2005 Ehrenbürger war. Er studierte Klavier, Komposition und Dirigieren in Zagreb und Graz und bildete sich bei Paul Baumgartner, Edwin Fischer und Eduard Steuermann weiter. 1950 kam er nach Wien und entfaltete seit dieser Zeit seine international anerkannte Tätigkeit als Pianist, die ihm in Europa, der damaligen Sowjetunion, den Vereinigten Staaten und in Japan zu großen Erfolgen verhalf.
Über Jahrzehnte war er bei den Salzburger Festspielen zu erleben, zuletzt freilich nicht mehr als Konzertpianist, sondern als Lehrmeister in seiner "Schule des Hörens".
Mit Wien verbunden
Seit seinem ersten Klavierabend am 12. Februar 1957 hielt er auch der Gesellschaft der Musikfreunde und dem Konzerthaus in Wien die Treue, wo er oft mit Soloabenden, als Solist mit Orchester, als Liedbegleiter oder später als Vortragender zu Gast war - etwa mit der Reihe "Nachdenken über Musik".

APA/DIETER NAGL
Der Pianist Alfred Brendel am Donnerstag, 18. Dezember 2008, bei seinem Abschiedskonzert im Wiener Musikverein.
Im Frühjahr 1965 und im Winter 1982/83 spielte Brendel an jeweils sieben Abenden alle 32 Klaviersonaten von Beethoven, 1988 führte er Franz Schuberts spätes Klavierwerk in vier Konzerten zyklisch auf. Er war der erste Pianist, der das Klavierwerk Beethovens in seiner Gesamtheit auf Schallplatte aufnahm. Seine Abschiedstournee 2008 brachte ihn vor gesteckt volle Säle, die den Tastenmeister nicht gehen lassen wollten.
Popularität abseits des Klaviers
Auch mit Fernsehsendungen und Buchpublikationen fand Brendel international große Beachtung. Eine erste Sammlung seiner musikalischen Aufsätze erschien 1977 unter dem Titel "Nachdenken über Musik", im Schubertjahr 1978 produzierte er die 13-teilige Fernsehserie "Alfred Brendel spielt Schubert" mit Einführungen zu den einzelnen Klaviersonaten.
1990 veröffentlichte der Künstler in London sein zweites Buch "Sounded out", dessen deutsche Fassung "Musik beim Wort genommen" seit 1992 vorliegt.
Aber auch mit literarischen Texten trat Brendel an die Öffentlichkeit. So erschienen die Gedichtbände "Ein Finger zuviel" und "Spiegelbild und schwarzer Spuk". 2005 erschienen die Essays "Über Musik", 2010 "Nach dem Schlussakkord", 2014 "Wunderglaube und Mißtonleiter".
Zahlreiche Würdigungen
Für sein Können wurde Brendel von den Universitäten von London, Sussex, Oxford, Warwick, Köln, Weimar, dem Royal Northern College of Music in Manchester und von der Yale University die Ehrendoktorschaft verliehen. Zudem war Brendel Träger des Frankfurter Musikpreises, des Siemens Musikpreises (2004), des Herbert-von-Karajan-Musikpreises (2008), des Praemium Imperiale (2009), des Echo Klassik für das Lebenswerk (2014), des Kommandeurkreuzes Erster Klasse, das er von Königin Elizabeth verliehen bekam, und der Ehrenmedaille ebenso wie des Ehrenzeichens der Stadt Wien in Gold (1992 und 2010). 1998 wurde er Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Als 1999 Prinz Charles persönlich Brendel die Ehrendoktorwürde des Royal College of Music in London verlieh, wurde er als "größter lebender Pianist" gewürdigt.
Stilles Ende
Seit 2012, als er einen Hörsturz erlitt, konnte Brendel die meisten Klänge nur noch unscharf wahrnehmen, einzig die Geige hörte er noch klar - und verlegte sein Engagement für junge Musiker prompt auf dieses Instrument. Sein eigenes Musizieren hatte für den unbestrittenen Intellektuellen nur nach außen hin aufgehört: "Nun arbeite ich im Kopf an meinen Stücken weiter", erklärte er einst in einem Interview.
Text: APA/red.