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Alfred Brendel zum 90er
Von innen zum Leuchten bringen
Armin Thurnher über die Kunstfertigkeit und den Charakter des großen Alfred Brendel, der am 5. Jänner 90 wird.
8. Jänner 2021, 22:25
Alfred Brendel war einer jener klassischen Pianisten, die überall auf der Welt die größten Konzertsäle füllten. Der Autor begegnete dem Pianisten am Ende seiner Konzertkarriere, die er 2008 sehr angemessen mit dem Jenamy-Konzert von Mozart zusammen mit den Wiener Philharmonikern unter Charles Mackerras im Wiener Musikverein beendete.
Zu den Sendungen
Opus | 01 01 2021, 22:05 - Brendel hören mit Armin Thurnher
Radiokolleg | 04 01 2021
Apropos Klassik | 09 01 2021
Anlagen stetig gesteigert
Brendel, am Beginn zwischen einer Karriere als Maler und Musiker schwankend, beendet diese als Schriftsteller. Seine Voraussetzungen, also das, was man Schicksal nennt, muten wie eine typisch altösterreichische Biografie an: geboren in Nordmähren, aufgewachsen in Kroatien, Studium in Graz und Wien, längst wohnhaft in London. Das klänge nach Nostalgie, nach einem Himmel voller Geigen und böhmischer Knödel. Nichts wäre weniger angebracht, obwohl Alfred Brendel Knödel durchaus schätzt. Nation bedeutet ihm nichts, Nationalismus ist ihm fremd, ja zuwider. Er ist Österreicher auf eine gewissermaßen dadaistische Weise, zugleich involviert und distanziert.

DPA/ERNST VON SIEMENS MUSIKSTIFTUNG
Brendel hat aus Schicksal und Herkunft etwas ganz anderes gemacht, getreu dem Wort Walter Benjamins, "wer Charakter hat, hat kein Schicksal". Seine Weltkarriere wäre auf dem dicht besetzten Feld klassischer Pianisten schon Leistung genug. Aber Brendel hat seine Anlagen und Fähigkeiten bewundernswert stetig gesteigert und intensiviert und tut das auch weiterhin als Autor, Dichter, Vortragender, Kunstkenner, Sammler, Cineast und Lehrer.
Ein Werk, das Maßstäbe setzte
Während er sich scheinbar auf den historischen Kern des klassischen pianistischen Repertoires beschränkte, holte er dank seiner zugleich die Komponisten und deren Absicht verehrenden Haltung sozusagen die Moderne - an der er stets interessiert teilhatte - in die Klassik herein. Nämlich als reflektierende, geschichtsbewusste und Werke ergründende Verfahrensweise.
Ohne jede Äußerlichkeit, ohne aufgepfropfte, von außen an die Komposition herangetragene Attitüde wuchs so ein Werk, das Maßstäbe setzte. Als Erster hat Brendel das ganze Klavierwerk Beethovens aufgenommen, er hat Liszt rehabilitiert, Schuberts Werk als Erster umfassend bekannt gemacht, er hat Mozart nicht nur tief, sondern auch verständig interpretiert, er hat Haydn von dessen altvaterischem Image befreit. Abgesehen davon, dass er auf fast allen Kontinenten als Erster Schönbergs Klavierkonzert spielte. Dazu war und ist er Herausgeber, Forscher, Essayist, Lehrer, Sammler, Kunstkenner, seit Jahren Dichter und nun auch Vortragskünstler.
Liebe zum Absurden
Im grassierenden Relativismus gelten ein Vers von Friedrich Hölderlin und eine Komposition von Bach so viel wie ein Zeitungstext oder ein Popsong. Das zu beklagen ist müßig, eine solche Klage hinterließe im Säurebad des allgemeinen Skeptizismus nicht einmal ein Bläschen. Dieser Skeptizismus mag aus berechtigter Abneigung gegenüber verbrauchten Pathosformeln entstanden sein, seine Wirkung ist dennoch unheilvoll.
Brendel pflegt demgegenüber eine strenge Skepsis, die durch Witz und Liebe zum Absurden keineswegs gemildert wird. Die Dinge erscheinen und singen klar und hell, wenn Brendel sie nicht beleuchtet, sondern vielmehr von innen her zum Leuchten bringt.
Hilfe beim Vermenschlichen
Über die Schwierigkeit, jemanden zu verehren, habe ich den Roman "Der Übergänger" geschrieben, der sich um Alfred Brendel dreht. Er hat es nicht nur freundlich aufgenommen, sondern das Manuskript innerhalb zweier Tage gelesen, durchkorrigiert und mir eine Menge peinlicher Fehler erspart.
Alfred Brendel steht wegen seines liebevollen und respektvollen Umgangs mit Menschen und Werken als stilbildende Instanz und Vorbild vor uns. Längst hat sich etwas wie eine pianistische Brendel-Schule herausgebildet. Ich selbst habe von ihm zumindest gelernt, meine - wie er sagt - "habituelle Bosheit" weniger habituell als vielmehr gezielt zu gebrauchen. Nur dann kann man Menschen "groß" nennen, wenn sie einem helfen, sich zu vermenschlichen. Alfred Brendel ist ein Großer.
Text: Armin Thurnher