Philosophie und Literatur der Romantik - Teil 4
Die dunklen Seiten
Die Romantiker versuchten die Normalität des Alltags zu überschreiten. Dafür verwendeten sie unterschiedliche Rauschmittel. Hier kommt die Kehrseite der "Sehnsucht nach dem Unendlichen" zum Ausdruck.
17. Jänner 2014, 14:20
Radiokolleg, 19. April 2007
1804 erschien das Buch "Nachtwachen von Bonaventura" des Literaten und Theaterdirektors Ernst August Klingemann. Das Werk wurde vielfach als das Dokument eines radikalen Nihilismus bezeichnet. Kreuzgang - die zentrale Figur des Romans - entwickelte die fixe Idee, dass die Welt nicht zur Ordnung, sondern zum Chaos strebe.
Sein Projekt lautete: sich selbst "zu einer absoluten Verworrenheit" zu bringen. Der Verlust der Kontrollinstanz, die laut Sigmund Freud vom rationalen Ich ausgeht, lässt die Nachtseite der menschlichen Existenz sichtbar werden: In diesem Reich regieren Angst, Langeweile, Melancholie, Sucht nach Rausch, Halluzinationen, Wahnsinn und Selbstmord.
Lebensüberdruss und Melancholie
Das Umkippen des rational gesteuerten Menschen kann in verschiedenen Ausprägungen auftreten. Eine Form ist der Lebensüberdruss, die "noia", die dem italienischen Schriftsteller Giacomo Leopardi wohl vertraut war. Leopardi lebte von 1798 bis 1837; er zog sich weitgehend von der Außenwelt zurück und sah sich selbst als ein Fremdling in einer ihm nicht adäquaten Zeit.
Der Lebensüberdruss ist eng mit der Melancholie verwandt, mit jenem Zustand der Schwermut, der plötzlich auftritt und sich nicht erklären lässt. Der Melancholiker erlebt die Umwelt nur noch als quälende Belastung, der er durch den Rückzug auf sich selbst zu entfliehen sucht. Der Dichter und Philosoph Novalis, der sich auf die Suche nach der absoluten Schönheit befand, kannte auch den Absturz in die Trostlosigkeit der Melancholie.
Flucht aus der Schwermut
Ein anderes Mittel, dem Lebensüberdruss und der Melancholie zu entfliehen, ist der Konsum von Drogen und Alkohol. Diese Rauschmittel versprechen mögliche Alternativen zum eintönigen Alltagsleben. Haschisch oder Opium vermitteln dem Drogenadepten das Gefühl, dem unerträglichen Druck der Schwermut wenigstens für einige Stunden zu entgehen.
Zahlreiche romantische Schriftsteller wie Thomas de Quincey, E. T. A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe bedienten sich der Drogen, um einen Zugang zu "künstlichen Paradiesen" zu erhalten. In seinem Buch "Bekenntnisse eines englischen Opiumessers", das Peter Meier übersetzte, beschrieb der englische Schriftsteller Thomas de Quincey das gesamte Spektrum des Opiumgenusses. Die 1822 erschienenen Bekenntnisse erregten großes öffentliches Aufsehen, denn niemals zuvor wurden die "Freuden der wahren Religion Opium" so ausführlich beschrieben und euphorisch "als Schlüssel zum Paradies" angepriesen.
Der jahrelange Opiumkonsum machte de Quincey mit der Nachtseite der Droge bekannt. Das visionäre Paradies verwandelte sich in eine Hölle von nicht mehr kontrollierbaren Halluzinationen, die das Bewusstsein überschwemmten. Die Traumwelt, einst Schauplatz einer surrealen Inszenierung von inspirierenden Phantasien, nahm alptraumhafte Züge an.
Eine subversive Gegenwelt des Poetischen
Die Romantik war - ähnlich wie die internationale Protestbewegung des Jahres 1968 - als gesellschaftliche Strömung gescheitert. Sie hatte ihr Ziel, die herrschenden Verhältnisse umzustürzen und ein "goldenes Zeitalter" zu errichten, verfehlt.
Die Romantik hat jedoch gezeigt, dass es - im Zeitalter einer hemmungslosen Profitmaximierung um jeden Preis - eine subversive Gegenwelt des Poetischen gibt. Die romantische "Sehnsucht nach dem Unendlichen" imaginiert sich ihre eigene Welt und betont das Recht auf eine gefühlsbetonte, träumerische Lebensweise. Genau das macht sie aktuell.