Philosophie und Literatur der Romantik - Teil 2

Die Rolle der Religion

Ein zentrales Anliegen der Romantik bestand darin, die Deformationen der Gesellschaft aufzuzeigen. Eine Lösung bietet die Religion an, die von den Romantikern nicht als Amtskirche verstanden wurde, sondern als Gefühlserleben.

Radiokolleg, 17. April 2007

In seiner Schrift "Die Christenheit oder Europa", betonte der Philosoph und Schriftsteller Novalis, der von 1772 bis 1801 lebte, die Bedeutung des Christentums. Dabei ging es ihm nicht nur um eine Verklärung des Mittelalters, sondern auch um eine visionäre Sicht der christlichen Religion. "Wahre Anarchie ist das Zeugungselement der Religion" proklamierte Novalis. Das kommende goldene Zeitalter sollte keineswegs das mittelalterliche Modell kopieren, sondern eine "zweite Schöpfung" entwerfen.

Christliche Religion und Kunst

In seiner Schrift "Die Christenheit und Europa" entfaltete Novalis die Vision eines christlich geprägten goldenen Zeitalters, indem ein Gleichgewicht zwischen Religion, Philosophie und Kunst herrscht. Die Wertschätzung der christlichen Religion beschränkte sich jedoch nicht nur auf Deutschland. In Frankreich erschien 1802 das Werk des Adeligen Francois-René de Chateaubriand "Der Geist des Christentums oder die Schönheiten der christlichen Religion".

Chateaubriand war davon überzeugt, dass die christliche Religion der Kunst und der Literatur zu einer nie zuvor da gewesenen Blüte verholfen habe. Das Christentum habe immer in allem das Bestmögliche geleistet, schrieb Chateaubriand; keine andere Religion enthalte so viel Poesie und Humanität in sich.

Der Sinn und Geschmack für das Unendliche

Eine ähnliche Ansicht vertrat der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher, der von 1768 bis 1834 lebte. Er veröffentlichte 1799 sein Hauptwerk "Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern". Damals hielt sich Schleiermacher in Berlin auf, wo er in den literarischen Salons verkehrte und zeitweise mit Friedrich Schlegel die Wohnung teilte. Die Schrift, über die er heftig mit Schlegel diskutierte, war als eine Apologetik des Christentums gedacht. Er wandte sich dabei an die Gebildeten, die häufig die Religion verachteten. Sie wollte er "in die innersten Tiefen und auf die Zinnen des Tempels führen". Als besonderen Anreiz entfaltete Schleiermacher eine für die Zeit ungewöhnliche Konzeption des Christentums.

"Religion ist der Sinn und Geschmack fürs Unendliche", postulierte Schleiermacher. Dieser Sinn für die Religion soll wie bei Chateaubriand den fragmentarischen Charakter der menschlichen Alltagsexistenz transzendieren. Diese Existenz wurde in zunehmendem Maße von Lohnarbeit bestimmt, die den Menschen seiner spirituellen und künstlerischen Dimension beraubt. 50 Jahre vor Karl Marx formulierte Schleiermacher eine beißende Kritik der herrschenden Arbeitsverhältnisse: "Millionen von Menschen beider Geschlechter und aller Stände leiden unter dem Druck mechanischer und unwürdiger Arbeiten", bemerkte er am Schluss der vierten Rede über die Religion. Damit wollte er den "gebildeten Verächtern" die Religion schmackhaft machen.

Schleiermacher interpretierte die Religion als unmittelbares Gefühlserleben, das keine Vermittlung durch die Amtskirche bedarf. Religion galt ihm als Privatsache, kirchliche Lehrmeinungen und Dogmen spielten keine Rolle mehr.