Andreas Hirsch über Gen-Patente und Urheberrecht

Paradoxe Speichelproben

Aktivisten von Greenpeace nehmen Politikern vor dem deutschen Bundestag Speichelproben ab, um "genetisch fundierte Politiker" herzustellen. Die Verhältnisse rund um die "Intellectual Property Rights" entwickeln sich von "paradox" zu "prekär" weiter.

Paradoxe Verhältnisse verlangen paradoxe Interventionen. Aktivisten von Greenpeace nehmen Politikern vor dem deutschen Bundestag im März 2007 Speichelproben ab, um "genetisch fundierte Politiker" herzustellen.

Der Künstler Eduardo Kac erfand 1998 für sein transgenes Kunstwerk "Genesis" ein synthetisches "Künstler-Gen", indem er mittels Morse-Übertragungsprozessen eine Textpassage aus dem Alten Testament zu genetischem Code verarbeitete. Dort, in der Genesis, ist bekanntlich zu lesen: "Machet Euch die Erde untertan und herrschet über die Fische im Meer und die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht."

Der von Greenpeace eingebrachte "Patentantrag für Politiker" liest sich wie eine Satire auf die herrschende Politik und zugleich auf den Jargon der Biotech-Industrie und soll auf die paradoxe Situation hinweisen, dass es beim Europäischen Patentamt möglich ist, auch natürlich vorkommende Gene - und damit in der Konsequenz einfach Tiere und Pflanzen - patentieren zu lassen. Eduardo Kac erinnert mit seinem Bibelzitat an etwas, das genuin zum genetischen Code des abendländischen Denkens gehört, das auf Beherrschung der Natur ausgerichtet ist und konsequenterweise auch zur heutigen Gentechnik führte.

"Patente auf Leben" erhalten zu können, erscheint so schockierend normal, dass es kaum über die Aufmerksamkeitsschwelle dringt. Zu viele alarmierende Fakten fordern unsere Aufmerksamkeit, zu viele Probleme verlange eine dringende Lösung, da haben es solche reichlich abstrakten und juristisch beladenen Themen nicht leicht.

So vergisst man auch leicht, dass es mittlerweile schon fast zehn Jahre her ist, dass der US-Autor Jeremy Rifkin erste spektakuläre Aktionen gegen die Patentierung von Tieren und menschlichen Lebewesen setzte, dass mittlerweile breite internationale Allianzen entstanden sind, die für ein generelles Verbot von Patenten auf menschliche Gene, Tiere und Pflanzen kämpfen. Doch die Verhältnisse rund um die "Intellectual Property Rights" ("Recht auf geistiges Eigentum" als Sammelbegriff für Patent- und Urheberrechte) entwickeln sich munter von "paradox" zu "prekär" weiter. Wenn, ja wenn den Industrien - von Medien bis Biotech - und ihren Lobbys in Politik und Verwaltung nicht bald massiver zivilgesellschaftlicher Widerstand entgegentritt.

Es ist eine paradoxe oder vielmehr absurde Angelegenheit, dass eine fatale Kombination aus überholten Rechtssystemen und den brutal durchgesetzten Interessen der Industrien die Spielregeln für die Zukunft der Menschheit, ja des Lebens auf diesem Planeten festlegen: Das betrifft über einseitig die Schöpfer und Erfinder bevorzugende Urheber- und Patentrechte die menschlichen Kulturen und ihre Vielfalt, das Wissen der Menschheit - wie es sich in Erfindungen, Bibliotheken oder Software ausdrückt - und über "Patente auf Tiere und Pflanzen" eben die Zukunft des Lebens an sich.

Alle diese Bereiche, so unterschiedlich sie sein mögen, haben doch zumindest drei Gemeinsamkeiten: Erstens geraten sie mit beängstigender Geschwindigkeit unter die Kontrolle einer Handvoll weltweit agierender Konzerne; zweitens sollten sie gemeinschaftlich und verantwortlich von der Menschheit als Ganzes genutzt werden können und nicht von einzelnen Unternehmen, Interessensgruppen oder Staaten; und drittens gibt es durchaus Modelle, die geeignet wären, die überholten, einseitigen Regelungen der Patent- und Urheberrechte abzulösen.

Die Alternativmodelle, die einen Ausgleich der Interessen der Gemeinschaft an freier und fairer Nutzung einerseits und an Anreizen für Schöpfungen und Erfindungen andererseits ermöglichen, gibt es längst - sie stammen aus der "Free Software Bewegung". Modelle wie etwa die GNU General Public License (GPL) beinhalten auch den intelligenten Mechanismus ihrer eigenen Fortpflanzung, wenn sie verlangen, dass alle Programme, die in irgendeiner Form unter der GPL lizensierten Code enthalten, wiederum unter der GPL veröffentlich werden müssen.

Die Meme von GPL, Creative Commons etc. sind längst in den digitalen und neuronalen Netzen unterwegs, die Zahnpasta wird sich nicht mehr in die Tube zurückdrücken lassen. Aber es werden noch weitere paradoxe Speichelproben nötig sein, bis es vielleicht zu einer Mutation im genetischen Code der Genesis kommt und wir aufhören, uns alle Lebewesen Untertan machen zu wollen.

Andreas Hirsch ist Experte für die Kreation und Entwicklung kultureller Systeme.

Links
Greenpeace - Politiker werden patentiert
Andreas Hirsch
No Patents on Seeds
"Genesis" von Eduardo Kac
GNU-Lizenz für freie Dokumentation

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