"Ich bin der Mann, der Leid getragen hat"

Lamentationes

Sie waren Jahrhunderte lang fester Bestandteil der katholischen Liturgie der Kartage. Seit dem hohen Mittelalter wurden die Lamentationes, die biblischen Klagelieder des Propheten Jeremias, unzählige Male vertont.

Der Beginn der Klagelieder in gregorianischer Manier

Die Klagelieder Jeremias, auch Lamentationes oder Jeremiaden genannt, sind ein Buch des Alten Testaments der Bibel, das aus fünf Gedichten besteht. In den Klageliedern wird die Zerstörung Jerusalems und des Tempels von 586 vor Christus beklagt. Von diesem Inhalt her bietet sich eine Datierung der Entstehungszeit zwischen 586 bis 530 an.

Die Klagelieder sind anonym, sie enthalten nichts, was auf den Verfasser schließen lässt. Nach jüdischer Tradition aus vorchristlicher Zeit gilt der Prophet Jeremia als Verfasser. Doch das ist eine der üblichen legendenhaften Zuschreibungen. Der wahre Verfasser ist unbekannt.

Trauer von A bis Z

Die Klagelieder sind Beispiele hoch stehender hebräischer Dichtkunst. Sie sind im Versmaß der hebräischen Totenklage (Qina) abgefasst, die ersten vier als Akrostichon, einer Form, bei der die ersten Buchstaben der Strophen dem Verlauf des Alphabets entsprechen.

Das jüdische Akrostichon hat nicht nur den praktischen Zweck der Gedächtnisstütze, sondern ist auch Ausdruck der Grenzenlosigkeit der alles einschließenden Trauer - im Deutschen entspricht dem der Ausdruck "von A bis Z" für "alles". Orthodoxe Juden lesen die Klagelieder wöchentlich an der Klagemauer in Jerusalem.

Komponieren als Seelentrost

In der klassischen christlichen Liturgie, im nächtlichen Stundengebet (der Matutin), wurden die Klagelieder bis zur Liturgiereform des zweiten vatikanischen Konzils in der Karwoche verlesen und wurden aus diesem Grund im Lauf der Musikgeschichte häufig vertont: Thomas Tallis, Jakobus Gallus, Orlando di Lasso und Giovanni Pierluigi da Palestrina sind die prominentesten Meister, die die Jeremiaden im Zeitalter der Renaissance vertont haben.

Später kamen noch zahlreiche Komponisten des Barock hinzu, aus der französischen Schule seien etwa Marc Antoine Charpentier oder Francois Couperin genannt. Im 20. Jahrhundert ist an erster Stelle Ernst Krenek zu nennen, der mit seiner Vertonung der Klagelieder eines der intonatorisch am schwersten zu bewältigenden Vokalwerke überhaupt geschaffen hat. Ihm, der das Werk 1947 im amerikanischen Exil schuf, lag auch nicht an der Aufführbarkeit dieser Musik, sondern vielmehr daran, seine Trauer auszudrücken, - komponieren als Akt der seelischen Konfliktbewältigung.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Donnerstag, 5. April 2007, 09:45 Uhr

CD-Tipps
Thomas Tallis, Lateinische Kirchenmusik II, "Lamentations of Jeremiah", Taverner Consort, EMI 7495632

Joao Lourenco Rebelo, "Klagelieder zum Gründonnerstag für acht Stimmen", Huelgas Ensemble, Paul van Nevel, Sony Vivarte SK 53115

Ernst Krenek, Lamentatio Jeremiae Prophetae, RIAS Kammerchor, Marcus Creed, harmonia mundi HMC 901551

Links
Wikipedia - Akrostichon
Wikipedia - Klagelieder Jeremias