Die Raffinesse des Riechens
Da liegt was in der Luft
Gerüche prägen unser Leben: Sie beeinflussen Stimmungen und wecken in sekundenschnelle Erinnerungen; sie können heilen oder Allergien auslösen, in Parfums betören oder die Umgebungsluft verpesten; und sie haben wesentlichen Anteil an der Partnerwahl.
8. April 2017, 21:58
Der Geruchssinn gilt - neben dem Geschmackssinn - als einer der "niederen" Sinne. Dabei spielen Düfte in vielen Lebensbereichen eine entscheidende Rolle. Kein Wunder, dass die Raffinesse des Riechens verstärkt in den Fokus der Wissenschaft gerät.
Im Projekt "Tast- und Duftdesign: Ressourcen für die Creative Industries in Wien" wollen etwa Kunstphilosophen, Chemiker, Botaniker und Designer mehrerer Wiener Universitäten untersuchen, welche Gerüche die spezifischen Sinneslandschaften der Bundeshauptstadt ausmachen und wie diese "Wiener Düfte" von der Stadtbevölkerung und von Besuchern bewertet werden.
Emotionen, Triebe und Gedächtnis
Dass Düfte die Erinnerung an eine Stadt, ein Ereignis oder einen Menschen nachhaltig prägen, liegt an einer hirnanatomischen Eigenheit des Geruchssinns: So führt die Riechbahn direkt in das Limbische System, in dem Emotionen, Triebe und Gedächtnis verankert sind.
Werden Duftmoleküle in die Nase aufgesogen, so treffen sie an der Riechschleimhaut auf rund 30 Millionen Riechsinneszellen. In der Membran dieser Sinneszellen befinden sich 350 verschiedene Rezeptoren, die einzelne, spezifische Duftmoleküle erkennen können und eine chemische Kaskade auslösen, die bis ins Gehirn weitergeleitet wird.
Spermien auf Duftspur
Der erste menschliche Riechrezeptor wurde 1998 vom Bochumer Riechforscher Hanns Hatt kloniert und identifiziert: Der Rezeptor reagierte auf den Duftstoff Bourgeonal, der nach Maiglöckchen roch und sich überraschenderweise nicht nur in der Nase, sondern auch in der Membran von Spermien fand.
Hatt konnte in der Folge zeigen, dass Maiglöckchenduft als Lockduft für die Samenzellen auf ihrem weiten Weg zur Eizelle dient. Wird von der weiblichen Eizelle kein solcher Duft verströmt oder ist der Riechrezeptor der Spermien defekt, so ist die Befruchtung zum Scheitern verurteilt.
Elektronische Nasen
Nicht nur am Ende, auch am Anfang einer sexuellen Anbahnung spielen Düfte eine entscheidende Rolle: Ob ein Gegenüber als potenzieller Sexualpartner bewertet wird, hängt wesentlich von seinem Körpergeruch ab.
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Dustin J. Penn vom Konrad-Lorenz-Institut für vergleichende Verhaltensforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat jüngst die Chemie des Körpergeruchs untersucht. Im Achselschweiß von 197 Probandinnen und Probanden fanden die Forscher 373 Komponenten, die individuelle und geschlechtsspezifische Geruchsprofile ergaben. Auf Basis dieser Ergebnisse könnte eine elektronische Nase entwickelt werden, mit der es möglich sein soll, individuelle geruchliche "Fingerabdrücke" zu identifizieren.
Auch wenn künstliche Nasen neue Perspektiven aufwerfen: Gegen die Raffinesse einer geschulten Parfumeurs-Nase haben sie keine Chance. Auch zur Bewertung von Düften sind sie ungeeignet. Um etwa festzustellen, ob in der Umgebung eines Schweinemastbetriebes oder einer Biogasanlage die zuträgliche Geruchskonzentration überschritten wird, bedarf es nach wie vor der "Olfaktometrie" - einer aufwändigen Messmethode, bei der ein olfaktorisch geschultes Testerteam die Geruchsbelastung bewertet.
Gefährliche Düfte
Gestank in der Nachbarschaft kann das Leben unerträglich machen. Aber auch wohlriechende Düfte haben ihre Tücken: So gelten Duftstoffe, nach Nicke, als die zweithäufigste Ursache für Kontaktallergien.
Umweltmediziner fordern deshalb mehr Transparenz beim Einsatz von Duftstoffen in Kosmetika oder Reinigungsmitteln und kritisieren den Trend zur (unbemerkten) Beduftung von Gebäuden oder Räumen. Auch vor der Verwendung minderwertiger ätherischer Öle in den eigenen vier Wänden wird gewarnt.
Die Kraft der Düfte ist eben groß, wissen die Forscher - im Guten wie im Schlechten.
Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 28. März 2007, 21:01 Uhr
Buch-Tipp
Madalina Diaconu, "Tasten - Riechen - Schmecken. Eine Ästhetik der anästhesierten Sinne", Königshausen & Neumann 2005, ISBN 3826030680
Wolfgang und Michaela Steflitsch, "Aromatherapie: Wissenschaft - Klinik - Praxis", Springer 2007, ISBN 9783211486467.
Patrick Süskind, "Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders", Diogenes 1985, ISBN 3257228007.
Link
Tast- und Duftdesign. Ressourcen für die Creative Industries in Wien.