EU-Bürgermeinungen vor ihrem Wiener Treffen

Ein Hauch von Mitbestimmung

Seit einigen Wochen sind in allen 27 EU-Staaten Bürgerkonferenzen im Gang, in denen über die Zukunft Europas diskutiert wird. Österreich hielt seine Konferenz am 24. und 25. März im RadioKulturhaus ab. Brigitte Stackl-Fuchs hat dazu im Vorfeld einige Teilnehmer befragt.

Österreichische Wünsche an die EU

Seit einigen Wochen sind in allen 27 EU-Staaten Bürgerkonferenzen im Gang, in denen über die Zukunft Europas diskutiert wird. Ziel dieser - durch Internet und Dolmetscher über Landesgrenzen und Sprachbarrieren hinaus - vernetzten Gruppen ist es, jeweils zu einer nationalen Bürgererklärung zu kommen, die dann bei einer Konferenz am 8. und 9. Mai in Brüssel in einer europäischen Conclusio aller Erklärungen zusammengefasst und an EU-Politiker übergeben werden soll.

Österreich hielt seine Konferenz neben neun anderen EU-Mitgliedsstaaten am 24. und 25. März im RadioKulturhaus ab. Im Vorfeld des Treffens von insgesamt 30 Teilnehmern, die nach dem Zufallsprinzip von Sozialforschungs-Institutionen ausgesucht worden sind, hat Brigitte Stackl-Fuchs mit zwei österreichischen Bürgern - einem 60-jährigen Kulissenmaler und einem 25-jährigen Studenten - über ihre Erwartungen und Zielsetzungen gesprochen.

Vorteile überwiegen die Nachteile

Helmut Kreutner aus Tirol fallen sofort einige Vorteile ein, die er in Europa sieht: "Mir gefällt an der EU, dass Grenzen wegfallen, dass ich mir frei meinen Arbeitsaufenthaltsort, möglicherweise auch meine Arbeitsstätte wählen kann, dass es einen Freien Markt gibt und dadurch viele Sachen billiger geworden sind. Mir gefällt auch, dass wir eine gemeinsame Währung haben. Da fällt das lästige Geldwechseln weg. Das ist ein großer Vorteil, denn ich erspare mir dadurch eine Menge Geld.“

Der 60-jährige Kulissenmaler glaubt auch, dass Europa durch den Zusammenschluss sicherer geworden ist. Er sieht aber auch negative Auswirkungen, zum Beispiel im Transitverkehr: "Tirol leidet besonders darunter, dass viel mehr Güter und Waren transportiert werden“, beklagt er. Ebenso entstehe ab und zu der Eindruck, dass von Brüssel aus sehr zentralistisch regiert werde, ohne dass man auf nationale Gegebenheiten eingehe.

Die richtige Balance finden

Die teils abgehoben erscheinende, zentralistische Haltung Brüssels gegenüber EU-Bürgern sieht der 25-jährige Student Johannes Waldmüller differenzierter: "Ich sehe das so: Die negativen Dinge werden von nationalen Politikern auf Brüssel geschoben und die positiven Dinge für sich selber beansprucht. Ich glaube schon, dass die EU supranational eine Art Rahmengeber, Strategiegeber sein kann. Wie das aber in den einzelnen Mitgliedsstaaten ausdifferenziert und umgesetzt wird, muss natürlich ein nationales Anliegen bleiben.“

Waldmüller hegt in diesem Zusammenhang den Verdacht, dass die Politiker nicht nur in Brüssel, sondern auch in Österreich nicht immer ehrlich sind. Ebenso weist er auf die relativ geringe Durchschlagskraft kleiner Länder wie Österreich hin, das nach seinen Worten noch am ehesten in kulturellen Fragen, aber nicht wirklich in politische Entscheidungsprozesse eingreifen kann: "Politisch wird auf den nationalen Erfolg des einzelnen Politikers geschaut und weniger an einen Europa übergreifenden Rahmen gedacht. Das ist ein großes Problem. Die Lösung daraus wäre vielleicht, dass verstärkt Expertengremien stattfinden, zu denen bewusst Österreicher entsendet werden, die sich ausschließlich mit europäischen Fragen beschäftigen.“

Was ist europäischen Bürgern wichtig?

Bei einer Vorbereitungskonferenz europäischer Bürger in Brüssel, an der Johannes Waldmüller schon mitgewirkt hat, haben sich drei Schwerpunkte herauskristallisiert, die den Europäern wichtig sind: Energie und Umwelt, Familien und soziale Absicherung sowie Immigration und die globale Rolle der EU. Die Mehrheit der Delegierten hatte sich dort - übrigens ganz anders als so mancher EU-Politiker - ganz deutlich gegen eine Renaissance der Atom-Energie ausgesprochen.

Auch die Politik der dichten Grenzen und des Erweiterungsstopps wird durchaus nicht von allen Bürgern geteilt. Helmut Kreutner meint dazu, man solle sich nicht so sehr gegenüber Nicht-EU-Ländern abgrenzen und den EU-Staaten ermöglichen, auch Zuwandererländer sein zu können. Im Detail meint er damit, dass nicht nur aus humanitären Gründen Flüchtlinge aufgenommen, sondern dass auch nach Möglichkeit und Bedarf Nicht-EU-Mitgliedern gewährt werden soll, in EU-Staaten zu studieren, zu arbeiten und nicht nur den Urlaub zu verbringen.

"Ja" zum Türkei-Beitritt

Helmut Kreutner spricht sich prinzipiell auch für einen EU-Beitritt der Türkei aus. Der Zeitpunkt hiefür müsste allerdings später erfolgen, weil derzeit noch viele Aufnahmekriterien nicht erfüllt werden könnten - sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht, als auch bei Fragen des Menschenrechts:

"Da ist noch einiges nicht EU-gerecht. Aber aus religiösen Gründen würde ich einen Türkei-Beitritt nie ablehnen. Die Türkei hat immer zur europäischen Kultur gehört. Ich glaube aber, dass der Beitritt eine Zeit brauchen wird, vielleicht zehn Jahre, und ich hoffe, dass die Türkei nicht hingehalten wird.“

Kommt Zeit, kommt Rat

Dass alles so seine Zeit brauchen wird, sei klar, sagt auch Johannes Waldmüller. Auch die europäischen Bürgerkonferenzen könnten nur der Anfang einer Entwicklung sein:

"Ich erwarte mir relativ viel, allerdings in langen Zeitabständen. Jetzt im Moment, in dieser ersten Runde, glaube ich, dass sich noch nicht sehr viel bewegen wird. Es ist ein Test, wie Bürger mit verschiedenen Sprachen kommunizieren können. Auf lange Sicht hoffe ich schon, dass es irgendwann eine Art institutionelle Form solcher Bürgerkonferenzen geben wird, die vielleicht einmal andere Institutionen zumindest ergänzen wenn nicht ersetzen können.“

An den Bürgern Europas soll das Projekt Europa und natürlich auch das Projekt Bürgerkonferenzen jedenfalls nicht scheitern, betont abschließend Helmut Kreutner.