Ringen um Aufmerksamkeit

Wie organisieren sich Arbeitslose?

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt das Problem der Erwerbsarbeitslosigkeit Öffentlichkeit und Politik. Zuletzt gab es einen leichten Rückgang der Erwerbsarbeitslosenquote. Dennoch: Der Arbeitsmarkt befindet sich in einer tief greifenden Krise.

Parallel zum Anstieg der Erwerbsarbeitslosigkeit sind auch in Österreich Selbsthilfe-Initiativen von und für Arbeitslose entstanden, so genannte Erwerbsarbeitsloseninitiativen ("EALIs"). Sie machen auf eine demokratiepolitisch Lücke aufmerksam: Keine politische Institution vertritt dezidiert die Interessen von Erwerbsarbeitslosen.

Richtig: Das grundlegende Interesse vieler Arbeitsloser ist es, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Derzeit gibt es für 353.000 Suchende aber nur etwa 26.000 offene Stellen. Übersehen werden oft die Interessen von Erwerbsarbeitslosen in ihrem Alltag, der in vielen Fällen von sozialer Exklusion gekennzeichnet ist.

Erwerbsarbeitsloseninitiativen

Die Sozialwissenschafter Werner Titelbach, Robert Schwarz und Reinhard Krenn haben im vergangenen Jahr im Auftrag der Arbeiterkammer Wien die Szene der EALIs untersucht. Sie stießen auf sehr unterschiedliche Gruppen. "Manche Initiativen arbeiten sehr serviceorientiert und professionalisiert, andere legen ihr Augenmerk auf die Kritik der Arbeits- und Machtverhältnisse", berichtet Werner Titelbach.

Ein Beispiel: Die Linzer Initiative "AhA - Arbeitslose helfen Arbeitslosen" sieht sich als Anlaufstelle für Erwerbsarbeitslose, die sich in existenzieller Not befinden. Hintergrund ist meist ein Konflikt mit dem Arbeitsmarktservice, erklärt Susanne Stockinger von AhA: Etwa die erneute Vorschreibung von Schulungen oder die Zuweisung von Jobs, die für die Betroffenen unannehmbar sind, "weil sie davon nicht leben können, weil es zu weit weg ist, weil die Arbeit absolut nicht in ihr Berufsfeld passt." Wer sich den Vorschreibungen widersetzt, dem droht die Sperre aller Bezüge.

Aufmerksamkeit in der Politik erzeugen

Derzeit gibt es zwei Versuche, die Interessen von Erwerbsarbeitslosen politisch zu bündeln. In Oberösterreich arbeiten AhA und die Arbeitslosenstiftung der Diözese Linz am Modell "ELAN - Erwerbsarbeitslosenanlaufstelle", andere Gruppen haben vor zwei Jahren den bundesweiten Verein "ErbwerbsarbeitslosensprecherIn" gegründet, der auf Selbstorganisation und Selbstvertretung setzt.

Werner Titelbach bewertet beide Modelle als demokratiepolitisch interessant. EALIs sind mit "Fluktuation" konfrontiert, einem Phänomen, das für die Arbeitsgesellschaft nach den Jahrzehnten der Vollbeschäftigung ("Postfordismus") prägend wird: "Die Erwerbsarbeitslosen sind zwar eine große Anzahl von Menschen, aber es ist eine stark fluktuierende Anzahl. Es sind nicht immer dieselben Personen und deswegen ist eine klassische Wahl im Sinn der repräsentativen Demokratie schwer vorstellbar, d.h. es müssten andere Modelle der Partizipation erfunden werden."

Der Sozialwissenschafter weist auf eine weitere Diskrepanz hin: Obwohl die Chance auf einen Vollzeitarbeitsplatz für viele Arbeitslose gering ist, müssen sie so tun, als wäre Arbeit auch für sie der größte aller Werte. Werner Titelbach bringt stattdessen einen Vorschlag der "Glücklichen Arbeitslosen" ins Spiel: Wer freiwillig auf einen der heiß umkämpften Erwerbsarbeitsplätze verzichtet, soll dafür zumindest ein würdiges finanzielles Auskommen finden.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 20. März 2007, 19:05 Uhr

Buch-Tipp
Claudia Hempel, "Zurück auf Los. Frauen erzählen aus der Arbeitslosigkeit", Zu Klampen Verlag, ISBN 9783934920934

Guillaume Paoli (Hg.), "Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche. Aufrufe, Manifeste und Faulheitspapiere der Glücklichen Arbeitslosen", Edition Tiamat, ISBN 9783893200627

Eberhard Straub, "Vom Nichtstun. Leben in einer Welt ohne Arbeit", Verlag wjs, ISBN 9783937989020

Robert Castel, "Die Stärkung des Sozialen. Leben im neuen Wohlfahrtsstaat", Hamburger Edition, ISBN 9783936096514

Links
AhA
AmSand
Arbeitslosenstiftung der Diözese Linz
Arbeiterkammer Wien