Heute schon gegessen?

Essen im Reich der Mitte

Nichts ist Chinesen wichtiger als ihre Mahlzeit. Um 12:00 Uhr mittags lassen Handwerker den Hammer und Angestellte den Bleistift fallen, um schnellstens zum Mittagstisch zu eilen. Das Leben im Reich der Mitte liegt dann für mindestens eine Stunde lahm.

Wie wichtig Essen in China ist, das zeigt sich im traditionellen Gruß "Ni sche fan ne ma?" - "Hast Du heute schon gegessen?" Essen ist eine kommunikative Angelegenheit, ja ein wichtiger Sozialkontakt. Dazu schart man sich in einer möglichst großen Gruppe um einen möglichst großen runden Tisch, um diesen dann mit Unmengen von Speisen zu beladen. Zehn Gänge zu Mittag - keine Seltenheit für Chinas neue Wohlstandsbürger.

Mit den Stäbchen schnappt sich jeder hier ein Häppchen, dort ein Häppchen. Auf diese Weise kosten alle alles - und sind glücklich über die riesige Auswahl.

Uns Ausländern wird das chinesische Essverhalten schnell zum Verhängnis; besser gesagt unserer Figur. Schnell haben wir ein paar Kilo mehr auf den Hüften. Zu lecker ist die Küche im Reich der Mitte, zu groß die Auswahl der Speisen und zu preiswert das Angebot. Statt die Freunde zu Hause zu bewirten, trifft man sich im Lokal und das stets und ständig. Die chinesische Küche ist für uns eine Offenbarung an Vielfalt und Menge. Das, was wir bisher in Europa gekostet haben, ähnelt dem, was im Reich der Mitte tatsächlich auf den Tisch kommt, weder im Aussehen noch im Geschmack.

Die Geschmacksrichtung Süß-Sauer zum Beispiel, offensichtlich in Österreich sehr beliebt, findet hier kaum einen Liebhaber. Stattdessen verarbeiten die Köche im Norden Chinas, also auch in Peking, mit Vorliebe ganze Knoblauchzehen und riesige Mengen getrockneter Chillischoten.

Auch das Gemüse ist anders in China - frisch und knackig. Etwas so Schlabberiges wie unlängst in Europa wurde mir hier noch nie vorgesetzt. Die Chinesen lieben Gemüse in allen Varianten: Brokkoli, Erbsen, Kohl, Bambus, Sellerie, Lotus, Spargel - sie zaubern unglaubliche Kreationen aus einfachen Zutaten. Geschmort im Wok, der chinesischen Wunderpfanne, bleibt alles knackig und vitaminreich.

Fleisch ist ein ganz eigenes Thema. Hühnchen, Pekingente, Rindfleisch, Schwein - das schmeckt allen Chinesen. Hundefleisch bildet eher die Ausnahme auf chinesischen Tellern. Es gilt mittlerweile als Delikatesse und ist für chinesische Verhältnisse sehr teuer.

Einmal habe ich es probiert, als ich an der nordkoreanischen Grenze war und zum Essen eingeladen wurde. Ich wollte meinen Gastgeber nicht beleidigen, und außerdem war ich, ehrlich gesagt, ziemlich neugierig. Nun ja, es schmeckt nicht gerade überwältigend. Zum Glück so gar nicht nach Hund, mehr wie weiches Kalbfleisch und eher ein bisschen langweilig. Als Delikatesse möchte ich es mir nicht wieder bestellen, zumal ich vor meinem inneren Auge stets einen großen freundlichen Bernhardiner sehe, den ich verspeisen soll.

Ungewöhnlich für uns Europäer ist die Vorliebe der Chinesen für Fleisch, das fast noch zappelt. Ich erlebte einmal, wie zum Feuertopf, dem chinesischen Fondue, "Living Shrimps", also lebende Garnelen, gereicht wurden. Die Gäste schnappten sich mit ihren Stäbchen je ein zappelndes Exemplar aus einer hohen Glasschüssel, um es dann mit Schwung in die heiße Brühe zu werfen. Mein Shrimps hüpfte gleich von den Stäbchen und krabbelte erstmal über den Tisch.

Derartige Tischspiele sind für uns, die wir Fleisch nur ganz tot kennen, etwas gewöhnungsbedürftig. Aber so weit mir bekannt ist, werden Shrimps und Hummer auch in Europa in kochenden Flüssigkeiten zur Strecke gebracht. Allerdings nicht durch die Gäste selbst.

Trotz dieser seltsamen Essgewohnheiten, wage ich zu behaupten, dass die chinesische Küche die variantenreichste der Welt ist. Das ist insofern nicht verwunderlich, da sie sich aus den Angeboten der Natur mehrerer Klimazonen - von der Wüste bis zum Meer - bedient. Außerdem sind die Chinesen traditionell sehr gute Köche, die es gewohnt sind, aus wenigen Grundnahrungsmitteln viele verschiedene Nahrungsvarianten zu zaubern.

In dem einen Jahr, das ich jetzt in China lebe, habe ich mir keine Magenprobleme oder gar eine Lebensmittelvergiftung zugezogen, obwohl wir oft einfach und in einer nicht allzu hygienischen Umgebung essen. Ich vermute, das liegt vor allem daran, dass die Chinesen nur ganz frische Zutaten verwerten, Abgelagertes wird gar nicht erst verarbeitet.

Insofern genieße ich die Vielfalt täglich ohne Bedenken. Und gegen die überflüssigen Pfunde hilft halt nur ein regelmäßiger Besuch im Fitnessstudio. Eine Diät werde ich mir in Anbetracht der vielen kulinarischen Köstlichkeiten und Versuchungen jedenfalls nicht zumuten.