Easy Listening wieder entdeckt

Walter Wanderley

Der brasilianische Hammond-Organist Walter Wanderley gilt als König des Easy Listenings. Doch seine Grooves bieten weit mehr als nur gefällige Versatzstücke für die Wiederverwertung in der elektronischen Lounge Musik seit den 1990er Jahren.

Walter Wanderley - Summer Samba

Walter José Wanderley Mendoza wurde 1932 in Recife, im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco, geboren. Mit fünf Jahren begann er Klavier zu spielen und mit 15 studierte er Harmonielehre und Komposition. Schon bald wechselte er aber zu einem in Brasilien eher untypischen Instrument, der Hammond-Orgel. Er war der erste, der die Hammond-Orgel in der brasilianischen Musik sowohl melodiös als auch perkussiv einsetzte und mit den populären Hits seiner Zeit die Tanzsäle so richtig zum Kochen brachte.

Brasilien im Modernisierungsfieber

Wanderleys Art, auf einer Orgel Samba zu spielen, war völlig neu und wurde vom Publikum begeistert aufgenommen. Sie war der perfekte Ausdruck des Modernisierungsschubs, den Brasilien in den späten 1950er Jahren erlebte: Die Städte Rio und Sao Paulo wuchsen, urbaner Lebensstil breitete sich aus und mit ihm ein chices Nachtleben in den großen Zentren. Kino, Literatur und Musik blühten im Ausdruck des eigenen Zeitgeistes und die Künstler Brasiliens entdeckten den Lifestyle der Bohème. Walter Wanderley tingelte mit seiner Band durch Bars und Nachtclubs und war einer der gefragtesten Live-Acts in den Tanzsälen.

Liebling der Frauen

Der Bandleader Walter Wanderley ließ in Konzerten den anderen Musikern ausgiebig Zeit für Soli. Einer seiner Musiker meinte einmal scherzhaft, dass er dies aber nur tat, um währenddessen von der Bühne aus mit dem weiblichen Teil des Publikums flirten zu können. Tatsächlich schienen nur wenige Frauen seinem Charme widerstehen zu können.

Die damals sehr beliebte Sängerin Isaura Garcia machte Wanderley überhaupt gleich beim ersten Zusammentreffen vom Fleck weg einen Heiratsantrag. Die tatsächlich folgende Ehe war gekennzeichnet von Seitensprüngen Wanderleys und Eifersuchtsszenen Isauras. Doch die regelmäßigen Krisen hinderten die beiden nicht daran, gemeinsam einige höchst erfolgreiche Schallplatten aufzunehmen.

Boss der Bossa Nova

In den frühen 1960er Jahren sprang das Bossa-Nova-Fieber schnell auf die USA über. Der Verve-Produzent Creed Taylor entdeckte Tom Jobim, Astrud und Joao Gilberto und landete mit "Girl from Ipanema“ einen Welthit. Der Sänger Tony Bennett wiederum machte Creed Talyor auf Walter Wanderley aufmerksam. Zuerst wehrte sich die Band dagegen, den Titel "Summer Samba“ als Single herauszubringen, aber Creed Taylor bestand darauf und der Erfolg gab ihm recht. Im Jahr 1966 hielt sich diese Komposition von Marcos Valle in der Interpretation des Walter Wanderley Trios monatelang hartnäckig in den US-Charts.

Unter Creed Taylors künstlerischer Leitung wurden die bekanntesten Wanderley-Alben "Rainforest“ und "Cheganca“ produziert. Der Organist wurde neben Astrud Gilberto zum zweiten exotischen Verkaufsschlager des Labels Verve und es lag nahe, die beiden auch zusammen auf Tonträger zu verewigen. Resultat war das hervorragende Album "A Certain Smile, A Certain Sadness“.

Cheesy oder cool?

Wanderley erlitt das typische Schicksal vieler Pioniere, welche gerade wegen ihrer Innovationskraft irgendwann einmal von der medialen Bildfläche verschwinden, weil ihnen die Gabe der Anpassung fehlt. Sein sanft swingender, cooler Stil, der in den frühen 1960ern den Puls der Zeit getroffen hatte, wurde in den 1970ern nicht mehr geschätzt. Als er 1986 in San Francisco starb, blieb das von Presse und Publikum weitgehend unbeachtet, in den USA wie in Brasilien.

Die wenigen, die sich an ihn erinnerten, assoziierten seine Musik mit Bezeichnungen wie "cheesy“ oder "campy“ - billiger Kitsch. Easy Listening, Cocktail-Musik oder gar Aufzugsmusik waren die Labels für diese Art von Sound. Dabei wurde weitgehend übersehen, dass der Brasilianer Wanderley vor allem ein hervorragender Sambista war, der die Bossa-Nova-Ära mit seiner Orgel und seinen Arrangements entscheidend mitgeprägt hatte.

Lounge und Ambient

Die 1990er Jahre brachten einen neuen Bedarf an sanfter und eingängiger Musik hervor, die vor allem als Hintergrundbeschallung ihren Platz hatte. Es wurden alte Grooves ausgegraben, gesampled und geloopt, mit elektronischen Beats und Bässen unterlegt und reihenweise mehr oder weniger anspruchslose Tonträger auf den Markt gebracht. "Ambient“ oder "Lounge“ wurden zu den gängigen Etiketten für diesen Sound.

Der Nebeneffekt dieser neu-alten Musik, die eine besondere Vorliebe für alte brasilianische Beats entwickelte, war, dass allmählich auch die Originale wieder entdeckt und neu verlegt wurden. Die Rehabilitation des ehemals verpönten Easy Listenings gelang, indem man das Wort "Kitsch“ durch "Kult“ ersetzte. 40 Jahre nach seinem Hit "Summer Samba“ ist der Sound Walter Wanderleys nun also wieder en vogue, obwohl sein seltsam klingender Name immer noch weitgehend unbekannt ist.

Hör-Tipp
Spielräume, Sonntag, 18. Februar 2007, 17:30 Uhr