Ritchie Pettauer über das Projekt "Rassismus streichen"

Blog und Handy gegen Rassismen

SOS Mitmensch zeigt mit einer intelligenten Kombination von Technologie und Zeichentheorie, wie Netzpolitik den Weg von der Virtualität in den realen Stadtraum findet: durch medialen Druck sollen Rassismen aus dem Stadtbild verschwinden.

Unter dem Betriff "Mashup“ versteht der Web-2.0-affine Mediennutzer ein Service, das mehrere Informationsquellen nach bestimmten Regeln filtert, rekombiniert und daraus neue Informationen generiert. Ein solches Service könnte etwa den kulturinteressierten Surfer zum Beispiel über Jazzkonzerte seiner Lieblingssaxofonisten in maximal 50 Kilometern Umkreis am Laufenden halten - personal media Services lassen sich in nahezu beliebiger Granularität und mit wenig Aufwand realisieren, es geht zumeist um "Convenience“.

Alles andere als einen bequemen Hintergrund hat dagegen eine Mixed-Media-Aktion der Plattform SOS Mitmensch. "Rassismus streichen" nutzt ein Mashup aus Georeferenzierung und Blog-Publishing Software, um einen antirassistischen Stadtplan von Wien zu erstellen. Jeder kann dabei zum Rassismus-Paparazzi werden: via E-Mail oder MMS schicken die Teilnehmer ihre Fotos an die Blogbetreiber. Die erklären ihre Motivation folgendermaßen:

Auf Außenwänden von privaten Häusern prangen rassistische Parolen oft monatelang. Zeigen wir die rassistischen Beschmierungen auf, damit die Stadt Wien das Problem endlich löst.

In der Tat sind Betonflächen die Pinwände des urbanen Raums. Doch während Altnazis und Unverbesserliche ihre Hakenkreuze im Eigenheim ungestört drapieren können, haben rassistische Schmierereien im öffentlichen Raum nichts verloren - klare gesetzliche Regelungen sehen in Österreich die rasche Entfernung öffentlicher Hass-Botschaften vor.

Das so genannte “Offizialprinzip" verpflichtet staatliche Organe beim Bekanntwerden sogar, von sich aus, also gegebenenfalls auch ohne Anzeige des Hausbesitzers, tätig zu werden. Die rechtliche Situation gestaltet sich in Österreich aufbauend auf die §125 und §138 StGB ("Sachbeschädigung" bzw. “Verhetzung"), sowie auf das so genannte Verbotsgesetz, das nationalsozialistischen Symbolen eine Sonderstellung einräumt.

In der Exekution dieser gesetzlichen Grundlagen hapert es freilich an Einsatz ebenso wie an politischem Willen. Die Kombination aus Fotohandys und Blog soll die Stadt Wien an ihre Bringschuld erinnern, denn die Entfernung unerwünschter Parolen ist mit finanziellem Aufwand verbunden.

Der antirassistische Stadtplan ist nach zahlreichen Einsendungen bereits beängstigend dicht gefüllt. Ein einprägsames Piktogramm von Andrea Ressi soll Passanten gleich vor Ort für die Problematik sensibilisieren, Sticker-Vordrucke und T-Shirts gibt’s auf der Homepage zu bestellen.

Im Zweifelsfall allerdings gilt es bei Privatgebäuden, erst die Erlaubnis des Hausbesitzers einzuholen, auch wenn kaum anzunehmen ist, dass durch das Anbringen eines Stickers an einer Hauswand eine Sachbeschädigung entsteht.

Spannend ist der außergewöhnliche Weg, den SOS Mitmensch dabei geht: Weil rassistische Beschmierungen im städtischen Bereich leider zum Alltag gehören und kaum mehr Aufmerksamkeit erregen, nutzt man das Netz, um die notwendige Sensibilisierung vom virtuellen in den realen Raum zu re-transferieren. Daran hat der stets kulturpessimistische Zeichentheoretiker Jean Baudrillard wohl nicht gedacht, als er seine Theorie der frei flottierenden Signifikanten und der totalen Disimulation entwickelte.

Die Strategie geht jedenfalls auf, denn ein bedeutender pragmatischer Erfolg konnte vor einem Monat erzielt werden: Ein Wiener Bauunternehmer bietet gratis eine "Beschmierungsambulanz“ an: Wer in den zweifelhaften Genuss rassistischer Parolen an seiner Hauswand gekommen ist, braucht nur das Formular auszufüllen, der Betrieb stellt seine Mitarbeiter einen Tag im Monat für Gratis-Übermalungen rassistischer Parolen zur Verfügung.

Ritchie Pettauer ist selbständiger Medienberater und Autor in Wien.

Mehr zu früheren Ausgaben der Netzkultur in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 18. Februar 2007, 22:30 Uhr

Links
Rassismus streichen
Antirassistischer Stadtplan
Der Baumann - Beschmierungsambulanz

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