Science contra Fiction

Kulturkampf um den Kreationismus

Medienkultur ist auch Kultur. Dazu gehört traditionell eine gewisse Seriosität, auf die "Qualitätsmedien" Wert legen. Wenn dann ein Nachrichtenmagazin wie das "profil" den Standpunkt "Die Bibel hat doch Recht" vertritt, macht einen das nachdenklich.

Man ist ja einiges gewohnt. Wir haben hier, wo ich wohne, in Währing, eine recht rührige Zeugen-Jehovas-Gruppe, die mich regelmäßig mit ihren Schriften und Broschüren versorgt. Alles sympathische und recht patente Leute übrigens, die sonst mit beiden Beinen durchaus im Leben stehen.

Ihr einziges Problem: Die Zeugen glauben an die Bibel, und das im wörtlichen Sinn. Das Alter der Welt errechnen sie mit 6.000 Jahren, zu dieser Zeit habe Gott das Universum in sechs Tagen geschaffen. Den Menschen, nämlich Adam, habe er aus Erde geformt und ihn höchstselbst durch Einhauchen einer Seele zum Leben erweckt. Das Weib wiederum wurde aus einer Rippe Adams geformt. Und so fort.

Offensichtlich geraten die "Zeugen" damit in Konflikt mit manchen Erkenntnissen der Naturwissenschaften: Diese sagen uns, dass das Universum ungefähr 14 Milliarden Jahre alt ist, was sich aus diversen Messungen in Kombination mit den Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie recht präzise ergibt. Der Homo Sapiens besiedelt den Planeten Erde seit etwa 180.000 Jahren. Er entstammt, so sagen es die Evolutionstheorie und alle verfügbaren empirischen Befunde, einer Entwicklungslinie der so genannten "Primaten".

Vorsichtig, man will ja niemanden kränken, formulieren Biologen diesen Sachverhalt so: "Der Mensch stammt vom Affen ab." Das ist die höfliche Variante. Die weniger höfliche Wahrheit ist: Der Mensch ist ein Affe. Er unterscheidet sich vom Schimpansen erheblich weniger, als dieser, sagen wir, von einem Rind.

Die Zeugen Jehovas sind indes nicht nur sympathische, hilfsbereite und durchaus patente Leute, sondern auch nicht dumm. Sie versuchen diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zu widerlegen. Namentlich sind es eben die Relativitätstheorie und Evolutionstheorie, die ihrem bibelfesten Glauben entgegen stehen. In ihren Broschüren, mit denen sie mich großzügig versorgen, machen sich deren Autoren geschickt Lücken und ungeklärte Details der wissenschaftlichen Erklärungsmodelle zunutze, um gegen die Modelle als solche zu argumentieren.

Solche Lücken gibt's natürlich. Sie sind auch Experten bewusst und Gegenstand manch handfester Debatte - ohne dass freilich das Grundgerüst in Frage steht. Die Zeugen Jehovas argumentieren anhand der Details fintenreich so, dass schließlich alles in Frage stehen könnte. Dabei muss man anerkennen, dass ihr Argumentationsniveau durchaus hoch ist. Die Autoren dieser Broschüren kennen die Theorien, die sie bekämpfen, und verstehen sie gut. Was sie schreiben, ist falsch, aber man kann es meist nicht einfach als unsinnig bezeichnen.

Andererseits ist klar: Keine Zeitschrift, kein Magazin, das sich selbst für seriös hält, wie tief immer man die Latte für "Seriosität" ansetzt, würde das unkommentiert abdrucken.

Das alles musste ich voraus schicken, um zum eigentlichen Thema zu kommen, nämlich zu einem Artikel in der Zeitschrift "profil" letzte Woche. Genau gesagt, die Coverstory. Der Artikel muss jeden Freund der abendländischen Aufklärung und eines rationalen Denkens förmlich entsetzen. Sozusagen "offiziell" wird darin versucht, Spuren der "Hand Gottes", so auch der Titel, im Universum und in den wissenschaftlichen Erkenntnissen darüber fest zu machen, um unter der Hand kreationistische, bibelwörtliche Thesen zu propagieren.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals solche Verdrehungen in einer "seriösen" Zeitschrift gelesen zu haben. Von meinen Zeugen-Jehovas-Broschüren bin ich, wie gesagt, ja einiges gewohnt. Aber was das "Nachrichtenmagazin" da abdruckte, ist diesen Schriften nicht einfach ähnlich. Es fällt noch hinter deren Argumentationsniveau zurück.

Wie gewohnt, geht es vor allem gegen die Relativitäts- und die Evolutionstheorie. Da wird mehrfach dem renommierten österreichischen Physiker Anton Zeilinger die Behauptung in den Mund gelegt, seine Experimente mit "verschränkten Quanten", in Medien nicht ganz treffend gern als "Beamen" bezeichnet, würden Einsteins Relativitätstheorie widersprechen. Was natürlich nicht der Fall ist.

Der ebenfalls hoch renommierte theoretische Chemiker Peter Schuster, Präsident der Akademie der Wissenschaften, der sich große Verdienste bei der Schließung einiger Lücken in der Evolutionstheorie erworben hat, wird mittels zusammenhangloser Zitate zum Zeugen gegen seine eigenen Erkenntnisse.

In dieser Weise wird weiter "Name-Dropping" betrieben, bis hin zum amerikanischen Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg, einem engagierten Gegner des "Kreationismus in der Schule" in den USA. Science-Fiction-Romane werden zitiert, die ja ganz nett sind, aber eben "Fiction" und nicht "Science", um letztlich das ominöse "Und die Bibel hat doch Recht" nahe zu legen. Der ganze Artikel ist von einem vollständigen Fehlverständnis der Quantentheorie und einem weitgehenden Unverständnis der Evolutionstheorie geprägt.

Wir haben immer über die Bibel-wörtlich-Vertreter und Intelligent-Designer in den USA gelächelt, über ihre Versuche, ihre Bibelinterpretationen als "wissenschaftliche Alternative" an die Schulen und in die offiziellen Lehrpläne zu bringen. Wenn's nach "profil" geht, sind wir selbst nicht mehr weit davon entfernt. Der Kulturkampf um Wissenschaft und Aberglauben hat offenbar auch hier zu Lande begonnen.

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profil - Artikel "Hand Gottes"