Religion bestimmt den Alltag
Seelenfänger in Nigeria
Mehr als 250 ethnische Gruppen leben in Nigeria, ähnlich vielfältig ist auch die religiöse Landschaft. Konflikte sind daher unvermeidbar, weil "die Nigerianer im Allgemeinen leidenschaftlich in ihren Überzeugungen" sind, so der Erzbischof von Abuja.
8. April 2017, 21:58
Religion spielt in Nigeria eine sehr große Rolle. Kaum ein Tag, an dem in den Zeitungen nicht irgendetwas steht, das mit Religion im weitesten Sinn zu tun hat. Und sei es "nur", dass die verschiedenen Kirchen ihr Engagement in den kommenden Wahlen manifestieren. Jeder Katholik über 18 hat die Pflicht zur Wahl zu gehen, wetterte vor wenigen Tagen Bischof Okobo. Jedem, der in seiner Diözese keine Wahlerlaubnis hole, würde die Teilnahme an der Kommunion verweigert. Muss man dazusagen, welche Kandidaten der Gute unterstützt?
Präsidentschaftskandidaten nicht gottesfürchtig genug
Am 30. Jänner 2007 erst konnte man im "Daily Champion" lesen, dass das Oberhaupt der Pfingstgemeinde, Pastor Ayo Oritsejafor, die Präsidentschaftskandidaten allesamt für ungeeignet und unglaubwürdig hält, weil sie nicht gottesfürchtig sind, und allein diese Eigenschaft könne Nigeria vor dem Absturz ins Chaos bewahren.
Dabei ist der Absturz schon vorprogrammiert: In kaum einem anderen afrikanischen Staat sind die Bürger aus religiösen Gründen so gewaltbereit wie in Nigeria: Junge Muslime kämpfen für die Scharia, junge Christen für die Werte der Bibel, und beide natürlich in der Gegend, in der ihr Glaube in der Minderheit ist. Und beide nehmen Tote in Kauf - offizielle Stellen schätzen, dass seit 1999 mehr als 10.000 Menschen in diesem unerklärten Religionskrieg ermordet wurden. Was nützt es den einen, dass Francis Arinze, der ehemalige Erzbischof von Onitsha, beinahe Papst geworden wäre? Was schert es die anderen, dass in zwölf der 36 Bundesstaaten schon die Scharia gilt, sie also praktisch bereits "Allah gehören"?
Aufschwung für Fernsehprediger
2006 gab es laut Volkszählung 140 Millionen Nigerianer. Die Hälfte davon sind Muslime, 10 Prozent bekennen sich zu den traditionellen Religionen, und die restlichen 40 Prozent sind christlich: 2 Prozent Kopten, zwölf Prozent Katholiken, 26 Prozent Protestanten, zehn Prozent gehören zu anderen christlichen Strömungen. Wobei die Missionstätigkeit nach dem Vorbild der US-amerikanischen Fernsehprediger in den letzten Jahren stark zugenommen hat.
Viele großzügig angelegte "Worship-Drive-ins" haben sich am Expressway zwischen Lagos und Ibadan, der "Autobahn der Kirchen", etabliert und werben mit Riesenreklametafeln um Besucher. Aber egal, wie sie sich nennen, Redemption Camp, Berg des Feuers und der Wunder, Lager der Erlösung oder Canaan Land, es geht immer um Geld. "Gott macht die Menschen reich", verkündet ein Faltblatt der Winner's Church, die das Canaan Land betreibt. "Er wird auch dich reich machen." Reich, nämlich Multimillionär, wurde bislang vor allem ihr Gründer David Oyedepo.
Gewaltige Seelenernte
Nigeria gehört laut Human Development Index 2006 der UN zu den 20 ärmsten Ländern der Welt, Tendenz sinkend. Und in armen Ländern machen Seelenfischer reiche Beute. Einer von ihnen ist Reinhard Bonnke aus Frankfurt am Main. Er steht "Christus für alle Nationen" vor und veranstaltet religiöse Riesenspektakel, die er Evangelisationen nennt. Vom 15. bis zum 19. November 2006 hat er in Lagos "eine gewaltige Seelenernte" eingefahren - kein Wunder, wenn auf seinem Erntefeld Lahme wieder gehen können und Krebsgeschwülste verschwinden!
Einem anderen Christus-Stellvertreter geht es allerdings demnächst an den Kragen: dem Chef der Christian Praying Assembly, Reverend Emeka King. Er hat die durchaus übliche Bestrafung bei einigen seiner Anhänger übertrieben. Eine seiner Anhängerinnen verbrannte, einige andere wurden lebensgefährlich verletzt. Reverend King wurde vom Lagos High Court am 11. Januar 2007 zum Tod durch Erhängen verurteilt.
Service
Chimamanda Ngozi Adichie, "Blauer Hibiskus", Luchterhand Literaturverlag, ISBN 363087181
onlinenigeria - Zwischen Glaube und Recht (englisch)
allafrica.com - Präsidentschaftskandidaten zu wenig gottesfürchtig (englisch)