Die Stimmung in Israel
Von Gaza nach Beirut
Uri Avneris in Zeitungen veröffentlichte Texte bieten Einblicke in die für Außenstehende so schwer verständliche Stimmungslage Israels. Eine Auswahl davon enthält Avneris neuestes Buch "Von Gaza nach Beirut", das er als Tagebuch bezeichnet.
8. April 2017, 21:58
Uri Avneri blickt auf einen langen Zeitraum zurück, als Friedensaktivist und mehr noch als Journalist, denn diesen Beruf übt er seit bald 60 Jahren aus. Avneri interviewte Jassir Arafat, als ein Gespräch mit dem Palästinenserführer in Israel noch als Hochverrat geahndet wurde. Mit der PLO durfte man nicht sprechen, später hieß es, man könne mit ihr nicht verhandeln, weil sie Terroristen wären. Die Argumente, warum man mit Arafat nicht verhandeln könne, sind fast wortwörtlich die gleichen, mit der man nach den letzten Wahlen in den Palästinensergebieten von israelischer Seite jeden Kontakt mit der Hamas ablehnt.
Arafat erwies sich aber sehr wohl als Gesprächspartner, er hatte, im Unterschied zu seinem Nachfolger, die gesamte palästinensische Bevölkerung hinter sich, während sein Nachfolger nur den kleineren Teil des Volkes vertritt. Die Hälfte der Hälfte, betont Uri Avneri: Die Hälfte des palästinensischen Volkes lebe im Ausland, von den Verbliebenen hätten eben mehr als die Hälfte für die Hamas gestimmt.
Friedensbewegung Gusch Schalom
Natürlich müsse man mit der Hamas verhandeln, betont Avneri immer wieder. Er und seine Frau Rachel haben vor 13 Jahren die Friedensbewegung Gusch Schalom mit begründet, die einen radikaleren Standpunkt vertritt, als etwa jener Zweig, dem Amos Oz oder David Grossman angehören.
Die Aktivitäten der Mitglieder von Gusch Schalom reichen aber viel weiter zurück als nur zu dem offiziellen Gründungsdatum. Seit Jahrzehnten halten sie Kontakte zu den Palästinensern, nicht nur zu den so genannten gemäßigten, die in- und außerhalb Israels als Vis-à-vis gewünscht werden, sondern auch mit der Hamas, denn die ist nun einmal vorhanden, sie ist Realität. Aber man könne nicht fragen, was bei den Gesprächen herausgekommen sei, meint Avneri, denn einzig entscheidend sei, was die israelische Regierung bereit sei zu tun.
Die dunklen Seiten des Krieges
Uri Avneri, Jahrgang 1923, ist als Helmut Ostermann in Beckum in Deutschland geboren und ging mit Rudolf Augstein zur Schule. In Israel nahm er einen hebräischen Namen an, kämpfte ab seinem 15. Lebensjahr gegen das britische Kolonialregime, später, nach kurzen Versuchen mit unterschiedlichen Berufen, schloss er sich im Unabhängigkeitskrieg 1948 der Hagana an. Kurz vor Friedensschluss schwer verwundet, verließ er die Armee. Bekannt wurde Avneri aber durch seine Kriegsreportagen, die in der Zeitung "Ha'aretz" und später in Buchform erschienen.
Als er in seinem zweiten Buch über die dunklen Seiten des Krieges und die Vertreibung der Palästinenser schrieb, war er plötzlich im eigenen Land massiven Anfeindungen ausgesetzt. Um sich nicht in seiner Meinungsäußerung behindern lassen zu müssen, kaufte er eine heruntergewirtschaftete Zeitung, die er 15 Jahre lang führte. Als dies durch ein Gesetz unmöglich wurde, gründete er eine eigene Partei und hielt in acht Jahren als Knessetabgeordneter mehr als 1.000 Reden. Mehrmals gelang ihm in der Folge eine Comeback als Politiker.
Immer schrieb er unermüdlich über seine wichtigsten Themen, Israeli versus Palästinenser - wie etwa: "Mein Freund, der Feind". Bis heute versucht er unermüdlich, immer wieder auf die einzige Lösung des Dilemmas hinzuweisen: Israel müsse den ersten Schritt tun. Sicherheit könne nicht das Ziel sein, meint er.
Eine Art Tagebuch
Uri Avneri schreibt bis heute regelmäßig Texte, die in israelischen Zeitungen oder auch auf Websites veröffentlicht werden. Sie bieten Einblicke in die für Außenstehende so schwer verständliche Stimmungslage des Landes, die man in den europäischen Medien vergeblich sucht. Eine Auswahl davon enthält Avneris neuestes Buch "Von Gaza nach Beirut", das er als Tagebuch bezeichnet. Sein Verleger hat sich um größtmögliche Aktualität bemüht. Das Thema Libanon wird gerade noch angesprochen.
Avneri und Gusch Schalom waren - im Unterschied zu anderen prominenten Friedenskämpfern - von allem Anfang an gegen den Krieg. Immerhin, sagt Avneri, habe der Krieg gegen den Libanon in einem Punkt ein positives Ergebnis gehabt: Man habe in Israel erkannt, dass selbst eine gut Armee nicht gegen den Terror gewinnen könne.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Uri Avneri, "Von Gaza nach Beirut", kitab Verlag, 2006, ISBN 978-3902005953