Weit ist die Prärie

Woraus wir gemacht sind

Bei seinem ersten USA-Aufenthalt hatte Thomas Hettche das Gefühl, "im Mittelpunkt der Welt" zu stehen. Er beschloss, ein Buch über dieses Land zu schreiben. Es wurde ein Buch, das durch seine Ambivalenz besticht, das fesselt und nie banal wird.

Der deutsche Autor Thomas Hettche hat Amerika als Schauplatz für seinen neuen Roman gewählt, einen Roman, der es in sich hat. "Woraus wir gemacht sind", so der Titel, erzählt die Geschichte von Niklas Kalf, der eine Biografie über den jüdischen Emigranten Eugen Meerkatz schreiben will und zu diesem Zweck in die USA reist.

Quer durch Amerika

Schon in New York überschlagen sich die Ereignisse: Niklas' schwangere Frau Liz wird entführt und die Kidnapper verlangen Informationen über Meerkaz Informationen, die Niklas selbst nicht hat. Die Suche nach dem offenbar brisanten Material führt ihn quer durch das Land, zunächst in die kleine texanische Wüstenstadt Marfa, wo er Wochen verbringt und sein eigentliches Ziel beinahe aus den Augen zu verlieren droht. Die Tatsache, dass Kalf sich in der Landschaft treiben lässt und immer weniger an seine entführte Frau denkt, brachte für Hettche einige Schwierigkeiten mit sich:

"Er könnte zur Polizei gehen, er könnte irgendwie ganz viele Aktionen entfalten, das wäre sozusagen konventionell", meint der Autor. "Er macht das alles nicht, sondern er versinkt in diesem Land. Und das in dem Roman glaubwürdig zu machen, das war sehr, sehr viel Arbeit, weil das eben nicht erwartet wird."

Literarisches Road-Movie

Leicht einzuordnen ist Hettches Roman nicht: Was wie ein Thriller beginnt, entwickelt sich sehr schnell zu einer Art literarischem Road-Movie, verwandelt sich in ein Selbstfindungsepos und scheut auch nicht die Berührung mit der phantastischen Literatur, wenn etwa der Teufel höchstpersönlich auftritt und die Gestalt verschiedener Hollywood-Stars annimmt.

Robert Duvall schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad, während er Marfa in Richtung Norden verließ. Kalf bemerkte verwundert, dass es ihm nicht gelingen wollte, sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, ob der, in dessen Wagen er nun unterwegs war, Robert Duvall nur ähnlich sah oder ob er es tatsächlich war. Er hatte den Eindruck, als wäre der Wechsel des Aussehens über das Gesicht des Alten hinweggegangen wie ein Wind, der einen stillen See kräuselt. Ein Bild verschwindet in einer sanften Bewegtheit, ein anderes erscheint. Das war alles.

Gegen Ende des Romans erhöht Hettche das Tempo, verstärkt die surrealen Elemente. Da taucht ein Mädchen auf, das im Teenageralter einen Mann umbrachte, und nun offenbar Niklas Kalf helfen will, da gibt es Prügeleien und Schießereien und selbst der Satanist Aleister Crowley spielt eine Rolle. Dabei nähert sich der Text zusehends dem Medium Film an; mit zahlreichen Anspielungen auf verschiedene Streifen und Regisseure, rasanten Schnitten und schnellen Szenenwechseln, bis Kalf schließlich auf die zentrale Thematik stößt - die Frage, woraus wir gemacht sind.

Viele Veränderungen seit 9/11

Mehrere Jahre hat Hettche an seinem Roman gearbeitet, nachdem er selbst im Jahr 2000 erstmals in den USA war. Und nicht ganz von ungefähr ist die Handlung in einem kritischen Zeitraum der amerikanischen Geschichte angesiedelt: zwischen dem ersten Jahrestag der Anschläge vom 11. September und dem Beginn des Irak-Krieges.

"In diesem halben Jahr konnte ich erzählen, wie das Verhältnis meines Helden zu Politik, zu Amerika als leading nation, wie das Verhältnis zu Gewalt und zu Krieg sich verändert", so Hettche, "auf eine Weise, die, glaube ich, vielleicht auch ganz typisch ist für die Veränderung, die in Europa passiert ist. Ich glaube, wir denken heute anders als noch vor fünf Jahren."

Mit allen seinen Anspielungen, allen Ausflügen in den Surrealismus und allen Umwegen, die die Geschichte geht, ist Hettches Roman aber vor allem eines: spannend bis zur letzten Seite. Mit "Woraus wir gemacht sind" hat Thomas Hettche ein Buch geschrieben, das gerade durch seine Ambivalenz besticht, das fesselt und mitreißt und dennoch nie platt oder banal wird.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Thomas Hettche, "Woraus wir gemacht sind”, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2006, ISBN 978-3462037111