Welterfolg mit tragischer Lebensgeschichte

Immer nur "Evangelimann"?

Wilhelm Kienzl war einer der Komponisten, die nach Wegen suchen mussten, um die deutschsprachige Oper nicht in Wagner-Epigonentum ersticken zu lassen. Heute wäre er 150. Jahre alt geworden. Steht eine Kienzl-Renaissance ins Haus?

Das tenorale "Selig sind, die Verfolgung leiden" ist seine Kennmelodie geworden: Wilhelm Kienzl erlebte noch Richard Wagners Bayreuth mit und war einer der Komponisten, die danach nach Wegen suchen mussten, um die deutschsprachige Oper nicht in Wagner-Epigonentum ersticken zu lassen.

"Der Evangelimann" ist bereits einer dieser Schritte in eine neue Richtung. Sicher, wenn der nach unverdientem Gefängnisaufenthalt als Evangelienerzähler umherziehende und um Almosen bittende Mathias seine tragische Lebensgeschichte erzählt, leuchten aus Kienzls Musik und aus den Ausbrüchen des Tenors ein Tannhäuser, ein Tristan, ein Parsifal durch.

Eine wahre Geschichte

Die Geschichte, die Wilhelm Kienzl vertont hat, die Geschichte von zwei in dasselbe Mädchen verliebten Brüdern, von denen der Unschuldige für das Verbrechen des anderen büßt, um zuletzt doch zu vergeben, ist jedoch aus dem Leben gegriffen: Ein österreichischer Polizeibeamter hat sie niedergeschrieben, die Schauplätze können besichtigt werden - und manchmal blitzt auch aus den Melodien ein Schuss "Verismo" hervor.

Ehe das Unheil losbricht, bringt Kienzl auch noch Lortzing-haft komödiantische Genreszenen an. Ein weniger idealistischer Musiker als er hätte mit dieser Mischung noch eine Reihe weiterer Bühnenwerke bestreiten und auf der Erfolgswelle weiter schwimmen können - denn der 1895 in Berlin uraufgeführte "Evangelimann" wetteiferte um die vorletzte Jahrhundertwende an Popularität nur mit dem Werk eines anderen halb-abtrünnigen Wagnerianers, Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel".

Der Komponist als "Don Quixote"

Wilhelm Kienzl verstand sich als ernster Künstler: Das teilt sich sogar aus späteren Portraitfotos mit, die einen würdigen, leicht asketischen Mann mit Rauschebart und Brille zeigen. Ein Phantast? Nicht nur im "Evangelimann" scheint Kienzls besondere Sympathie den Schmerzensmännern gegolten zu haben, mit denen er sich identifizieren konnte.

Als das "Schmerzenskind" unter seinen Opern hat er stets den "Don Quixote" empfunden, der 1898 - wieder in Deutschland - erstmals auf die Bühne kam. "Bin ja selbst ein Don Quixote", sagte Kienzl über sich.

Demütigungen und Bloßstellungen

Kaum der Hauch einer Liebesintrige wird diesem Opern-Quixote gegönnt, dafür häufen sich die peinigenden, alptraumhaften Situationen, in denen der "Held" von Kienzls musikalisch aufwändigster und mit viereinhalb Stunden Spielzeit mehr als abendfüllender Oper bestehen muss.

Öffentliche Demütigungen und Bloßstellungen von Quixote lassen seine hehren Ideale umso mehr als Schimäre erscheinen - Kienzls Selbstbild? Als später, ab den 1920er Jahren, die musikalische Avantgarde die Führung übernahm und ihn als Romantiker veraltet wirken ließ, reagierte Kienzl mit Rückzug und so, als hätte er nie anderes erwartet.

Ein Musiker aus Österreich

Dabei war Wilhelm Kienzl, der in Graz groß gewordene gebürtige Oberösterreicher, musikalisch immer dabei, wenn sich "Deutsch-Österreich" feierte: die neue österreichische Hymne, auf einen Text von Karl Renner, wurde von ihm komponiert.

Aber keines der in Wien aufgeführten Bühnenwerke des reifen Kienzl konnte sich mehr durchsetzen: nicht das von Peter Rosegger, seinem steirischen Jugendfreund, inspirierte "Testament" mit seinen "straussischen" Walzermotiven, nicht die nach neuen Kombinationen von Text und Musik suchende Allegorie "Sanctissimum", nicht das folkloristische Singspiel "Hans Kipfel", mit dem sich der Opernkomponist Kienzl von der Bühne verabschiedete.

Kienzl-Renaissance?

Wird es eine Kienzl-Renaissance geben? Die farbengleißende Musik des "Don Quixote", in einer Instrumentation, die viel detailverliebter und "moderner" ist als im bekannten "Evangelimann", hätte eine Renaissance verdient, vielleicht auch der "Kuhreigen", dieses Paradestück für lyrische Tenöre, das als "Revolutionsoper" thematisch auf den Spuren eines "Andrea Chenier" unterwegs ist, auf Breitenwirkung angelegt, aber mit ein paar Tropfen Wagner-Essenz.

Ungehobene Schätze warten auch bei Kienzls vielen Liedern, oder in seiner Kammermusik. Da wären drei Streichquartette, die ebenfalls Kienzls enge Beziehung zu Österreich erkennen lassen, mit musikalischen Eindrücken aus vielen Sommern in Altaussee.

Mehr zu Wilhelm Kienzl in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 18. Jänner 2007, 15:06 Uhr

Veranstaltungs-Tipps
Wilhelm Kienzl, "Das Testament", Landestheater Linz, Mittwoch, 17. Jänner 2007, Mittwoch, 24. Jänner 2007, Samstag, 03. Februar 2007, Sonntag, 04. März 2007, Mittwoch, 14. März 2007, Freitag, 16. März 2007, Donnerstag, 26. April 2007, jeweils 19:30 Uhr

Wilhelm Kienzl, "Der Evangelimann", Volksoper Wien, Wiederaufnahme: Samstag, 20. Jänner 2007, 19:00 Uhr

Links
Wikipedia - Wilhelm Kienzl
Landestheater Linz
Volksoper Wien