Das Leben eines Staatsfeindes

Andreas Baader

Wahre Kriminalfälle erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. "Wer war Andreas Baader? Was für ein Mensch steckt hinter den Mythen?" Als Antwort auf diese Fragen haben Klaus Stern und Jörg Herrmann "die erste Biografie" des Andreas Baader vorgelegt.

"Andreas Baader - Das Leben eines Staatsfeindes", ein 350 Seiten starkes Paperback, verziert mit dem Konterfei des deutschen "Gottseibeiuns" der 1970er Jahre, liegt druckfrisch in den Buchhandlungen. "Wer war dieser Mann? Was für ein Mensch steckt hinter den Mythen?" Diese Fragen (und vielleicht auch noch andere) haben sich zwei Männer vom Fach gestellt und als Antwort auch gleich "die erste Biografie" des Andreas Baader vorgelegt.

Das mit den "Männern vom Fach" ist durchaus ernst zu nehmen, denn Klaus Stern, der eine, ist ein deutscher Dokumentarfilmer, der schon mehrere Streifen zum Thema RAF, Baader und Terrorismus gedreht hat. Er ist offenbar für die Beantwortung der Frage "Wer war dieser Mann?" zuständig, was sich im Buch chronologisch von der Geburt Andreas Baaders 1943 bis zur Verhaftung 1972 niederschlägt.

Für die zweite Frage, die nach Mensch und Mythos, hat man sich ebenfalls einen Fachmann geholt: Jörg Herrmann. Er "arbeitet als Theologe und Publizist", so steht's zumindest im Klappentext des Buchs, hat über Scientology geschrieben, und hat sich hier die Jahre von 72 bis 77 - von der Verhaftung bis zum Tod Baaders in Stammheim - vorgenommen.

Nichts wirklich Neues

Wer also war dieser Mann, und was für ein Mensch steckt hinter den Mythen? Die Antworten bringen nichts Neues zum Vorschein. Es sei denn, man will etwas über Baaders Onkel, einen schwulen Balletttänzer und Schauspieler, wissen oder man interessiert sich für den Malerfürsten Lüpertz als West-Berliner Kneipenschläger und schenkt einem Daniel Cohn-Bendit Vertrauen, der da sagt, dass der Philosoph Sartre unmittelbar nach seinem Besuch im Gefängnis Stammheim über Baader Folgendes gesagt habe: "Ein Arschloch, dieser Baader!"

Und das obwohl die Autoren Stern und Herrmann andernorts schreiben, Andreas Baader soll ein "hübscher Junge" gewesen sein, der überdies - die Passage findet sich schon in der Bilanz der Untersuchung, im so bezeichneten "Epilog" - "bei allem Aktionismus jedoch keineswegs auf den Kopf gefallen war".

Jede Menge Stilblüten

Autor Nummer eins, der Dokumentarfilmer, scheint es darauf abgesehen zu haben, die alte These vom unauflösbaren Widerspruch zwischen Sprache und Fernsehbild in neue, um nicht zu sagen: ungeahnte Höhen zu führen. Zum einen hat er's mit dem Wörtchen "obwohl" - "Obwohl schwanger, verzichtet sie auch in jener Zeit nicht auf Whisky, Captagon und LSD", heißt es da einmal über Baaders Berliner Lebensgefährtin - steigert sich sogar schon mal zum "obwohl sowohl", zum andern liefert er herrliche Stilblüten, die "journalistisch" zu nennen eine Beleidigung für unser ehrbares Tagesgeschäft wären. "Doch zurück zu Baader", heißt es da im Kommandostil, wenn Autor und Leser den Faden wieder einmal verloren haben, und über die Whisky, Captagon und LSD schluckende Dame von vorhin schreibt er hingegen:

Stets existenzialistisch in schwarz gekleidet, sieht Ello wie die deutsche Ausgabe von Juliette Greco aus.

Zu einem Satz mit Kultcharakter könnte es hingegen die folgende Analyse bringen:

Das bestimmende Reizthema zwischen Studentenbewegung und dem Staat, meist vertreten durch die Polizei, ist der Vietnamkrieg.

Gut belegt mit Erinnerungsliteratur

Was aber macht Autor Nummer zwei, immerhin Publizist und Theologe? Der ist sowohl stilistisch als auch ideologisch ungleich trittsicherer als sein Kollege vom Fernsehen. Schön gedrechselt sind die Sätze, gut belegt - vor allem mit Erinnerungsliteratur von Polizeibeamten und Gefängniswärtern - sind die Innenansichten aus der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Ein wahres Luxusleben hätten die Gefangenen der RAF da geführt, einzig Ulrike Meinhof, die "zu masochistischen Selbstbetrachtungen neigte", konnte sich daran nicht so recht erfreuen, hat sie doch "zunehmend unter dem Irrsinn ihres Weges, dem Verlassen ihrer Töchter und möglicherweise auch unter einer fortbestehenden Hirnerkrankung gelitten".

Ja, ja. Auch das muss man wissen, wenn man eben wissen will, wer Baader war, und was für ein Mensch hinter diesen Mythen steckt. An diese Diagnose kommt nur noch die charmante Beschreibung von Hanns-Martin Schleyer, mit dessen Entführung die Stammheimer Häftlinge freigepresst werden hätten sollen, heran. Dessen NSDAP- und SS-Karriere umschreibt der Publizist und Theologe Jörg Herrmann mit "ambivalenter Vergangenheit".

Goldene Zitrone

Statt süßen "Kirschen in Nachbars Garten" haben wir mit diesem Buch Zitronen gefunden. Wir vergeben eine "goldene Zitrone" zu gleichen Teilen an das Autorenduo und den Deutschen Taschenbuchverlag. Möge sie sauer genug sein, um auch andere abzuschrecken, die immer noch glauben, auf den längst abgefahrenen Zug der RAF-, 68-, Terror-Vermarktungsindustrie aufspringen zu müssen!

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Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Klaus Stern, Jörg Herrmann, "Andreas Baader. Das Leben eines Staatsfeindes", Deutscher Taschenbuch Verlag, 2007, ISBN 978-3423245845