Das erweiterte Ohr

Mit dem Körper hören

Selten wird uns bewusst, dass wir nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem ganzen Körper hören. Genau in diesem Bereich der infrasonaren Töne aber liegen die Potenziale für eine Erweiterung dessen, was wir unter Musik verstehen.

So klingt der "Bioadapter"

Der Mensch hört in einem Frequenzbereich von zirka 16 bis 20.000 Herz. Prinzipiell nimmt der Mensch Musik und Schall über die Ohren wahr, so Werner Deutsch, der Direktor des Instituts für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Es kann aber auch zu außerauditiven Empfindungen kommen. Dann seien meistens sehr hohe Energien im Spiel, "die bei niederen Frequenzen gemeinsam mit Vibrationen auftreten", weiß Deutsch.

Unterhalb der Hörschwelle

Ein Künstler, der sich insbesondere für jenen Frequenzbereich interessiert, wo auditiver und taktiler Reiz einander überlappen, wo Musik plötzlich im Brustraum und in der Magengegend spürbar wird, ist Franz Pomassl, Begründer und Betreiber des Labels Laton und des Sound Studios an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

Er würde den ganzen Körper als ein "erweitertes Ohr" begreifen, so Pomassl, "deswegen interessiere ich mich für den Bereich der infrasonaren Töne; hier liegen für mich die Potenziale für eine Erweiterung musikalischer Ideen und Soundpraktiken".

Schwingungsgenerator im Gefechtsturm

Für seine Experimente im tieffrequenten Bereich hat sich Franz Pomassl etwa ITT gebaut, das Infrasonic Transmission Tube System.

Anlässlich einer Veranstaltung des Museums für angewandte Kunst im Gefechtsturm Arenbergpark hatte Pomassl schließlich die Gelegenheit, sich einen Schwingungsgenerator auszuleihen, wie er üblicherweise für geologische Untersuchungen verwendet wird, das "bislang ultimative Instrument" für die Umsetzung seiner Ideen, wie er meint.

Grenzüberschreitung

Die direkte körperliche Erfahrung von Klangwellen zeigt immer auch den Wunsch von Künstlerinnen und Künstlern an, in der Tradition der Avantgarde die Grenzen, die mit dem Begriff Musik absteckt werden, zu überschreiten, um das Verständnis von Musik in noch nicht erlebte Regionen zu treiben.

Die grundlegenden Motivationen sind hier unterschiedlich, gemein ist aber allen Künstlerinnen und Künstlern, dass sie mit ihrer Arbeit einen sozialen Anspruch verfolgen. Dieser reicht von der Selbsterfahrung und vielleicht auch Selbstbeschädigung über die Reorganisation sozio-musikalischer Kontexte bis hin zur Gesellschaftskritik.

Glücksanzug Bioadapter

Gemeinsam mit Georg Zeitblom und Christian Fennesz hat Peter Rantasa vom Music Information Center Austria versucht, Oswald Wieners Idee vom Bioadapter als ein Musikprojekt, das auf eine bewusst ganzkörperliche Wahrnehmung von Musik zielt, nachzubauen.

Wiener entwarf den Bioadapter in den 1960er Jahren als eine Art Glücksanzug, der den Organismus von den Grausamkeiten der Welt befreien sollte.

Wenn das Herz den Beat angibt

Zuerst einmal bekam der Besucher des Bioadapters ein Stethoskop und ein Funkmikrofon umgeschnallt. Der eigene Herzschlag wurde damit an die Computer der Musiker gesendet.

Danach ging es hinein in einen Isolationstank - eine Art überdimensionale Badewanne mit Deckel, gefüllt mit wohlig körperwarm temperiertem Salzwasser, das den Körper prompt nach oben drückte. Die Ohren blieben allerdings unter Wasser. Sobald der Deckel des Isolationstanks geschlossen wurde, war es vollkommen still und dunkel - und zwar so lange, bis sich über die Unterwasserlautsprecher langsam Musik ins Wasser zu schleichen begann. Musik, die im Wortsinne vom eigenen Herzen getragen wurde, denn dieses war es, das hier den Beat angab.

Gesellschaftliches Beziehungsgeflecht

Für das Nachfolgeprojekt "a sophisticated soirée" hat Rantasa gemeinsam mit der Gruppe 91v.2.0 eine ganze Gruppe mit kleinen Sensorgeräten ausgestattet. Ort des Geschehens war diesmal eine Bar; und auch hier wurde der Herzspitzenton an eine Reihe von Computern gesendet, die selbigen allerdings zuerst einmal mit den Herzspitzentönen der anderen Gäste verwoben, um dieses Geflecht schließlich in bewegte Bilder zu übersetzen, die in weiterer Folge einer Live-Band als Partitur dienten.

Nach dem Bioadapter war "a sophisticated soirée" der zweite Ansatz, um - so Rantasa - "ein gesellschaftliches Beziehungsgeflecht sehr einfach verständlich und auch empfindbar zu zeigen".

Das Geheimnis der Musik

"Dass der Mensch ganz selbstverständlich nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem ganzen Körper hört, lässt sich etwa hervorragend bei Kindern beobachten", erklärt Erich Vanecek, der Anfang der 1990er Jahre an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien den Fachbereich für Musikpsychologie aufgebaut hat:

"Ein Kind, das Musik hört, wird automatisch beginnen, sich in deren Rhythmus zu bewegen. Gehör- und Gleichgewichtssinn sind eng miteinander verbunden und gehören zu den frühest ausgebildeten menschlichen Sinnesorganen," so Vanecek. Peter Rantasa dazu: "Es geht gar nicht anders, als Musik ganzkörperlich zu rezipieren. Dem kann man sich nicht entziehen."

Hör-Tipps
Radiokolleg, Dienstag, 2. Jänner 2007 bis Donnerstag, 4. Jänner 2007, 9:45 Uhr.

Zeit-Ton, Donnerstag, 4. Jänner 2007, 23:05Uhr

Links
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