Zwischen Naturreligionen und Christentum
Facettenreiches Madagaskar
Etwa die Hälfte der Madegassen sind Anhänger von Naturreligionen. Totenkult und Ahnenverehrung prägen noch heute das Leben. Auch für die etwa 40 Prozent getauften Christen ist es kein Widerspruch, an traditionellen Bräuchen wie etwa dem "Büffelopfer" teilzunehmen.
8. April 2017, 21:58
Musikethnologe August Schmidhofer zum Totenkult
"Wenn der Büffel den Toten nicht begleitet, glauben die Madegassen, dass der Tote den Weg zum Schöpfergott nicht findet. Und jeder möchte zum Schöpfer kommen, sagt die österreichische Missionsschwester Elisabeth Schwarzl. Sie ist ausgebildete Krankenschwester und Hebamme und seit 26 Jahren auf Madagaskar tätig.
Unbekanntes Madagaskar
Madagaskar liegt vor der Südostküste Afrikas und ist die viertgrößte Insel der Welt. Es ist etwa sieben Mal so groß wie Österreich und hat etwas mehr als 17 Millionen Einwohner. Ursprünglich kommen die Einwohner aus Indonesien und dem südlichen Äquatorialafrika. Diese afro-asiatische Verschmelzung spiegelt sich bis heute in ihrem Aussehen und in ihrer Kultur wider.
21 Volksgruppen leben auf Madagaskar. Fast die Hälfte der Bewohner sind Anhänger von Naturreligionen, 27 Prozent sind Katholiken, 24 Prozent Protestanten und sieben Prozent Muslime.
Traditionelle Bräuche und Christentum
Traditionelle Feste und Bräuche prägen bis heute das Leben auf Madagaskar. Die Kirchen reagieren unterschiedlich: Die evangelischen Kirchen verurteilen diese Riten. Die Freikirchen schaffen so starke neue Gemeinschaften, dass sie mit den traditionellen Bräuchen der Ahnen vollständig brechen.
Die katholische Kirche toleriert diese Traditionen. So ist es auch für getaufte Christen auf Madagaskar kein Widerspruch, an diesen traditionellen Bräuchen wie dem "Büffelopfer" teilzunehmen, bestätigt der katholische Priester und Madegasse Julien Razanadrakoto:
"Wenn jemand gestorben ist, dann wird er in ganz bestimmte Tücher gewickelt. Die Familie versammelt sich und hält ein eigenes Ritual ab. Als katholischer Priester bin ich meist anwesend. Und anschließend feiern wir dann für den Verstorbenen eine Heilige Messe.
Ahnenverehrung mit Totenumbettungen
Die Ahnenverehrung auf dieser Insel ist bis heute von zentraler Bedeutung. Die Verstorbenen spielen im Leben der Familie eine wichtige Rolle. Denn die Ahnen geben ihren Segen - für die Arbeit, die Gesundheit, die Fruchtbarkeit der Felder. Man bittet sie vor wichtigen Ereignissen und betet zu ihnen so wie zum einem Schöpfergott.
Um zum Ahnen zu werden, muss der Verstorbene nach madegassischem Glauben nach seiner Verwesung neu bestattet werden. Diese so genannten "Totenumbettungen" gehören zu den wichtigsten traditionellen Bräuchen der Insel. Mehrere hundert Mitglieder der Großfamilie treffen sich zu diesem mehrere Tage dauernden Fest. Neuigkeiten werden ausgetauscht, und auch der Verstorbene wird über alle wichtigen Ereignisse innerhalb der Familie informiert.
Tradition und Internet
Fidi Andrianaivo vermisst diese großen Familienfeste in Österreich. Er ist Madegasse und in Wien als EDV-Experte tätig:
"Traditionelle Feste und das Internet sind kein Widerspruch, sagt der 26-Jährige. "Auch einige Tabus wie der Respekt vor den Alten und der Umwelt spielen in meinem Leben eine wichtige Rolle.
Die "Fadys
Tabus sind Verhaltensregeln und Verbote, die den Menschen in seine soziale Umgebung einbetten und die Gesellschaft regeln. Die Madegassen benützen hiefür das ursprünglich indonesische Wort "Fady".
Es gibt Speise-Tabus, bestimmte Pflanzen und Tiere, die man nicht essen darf. Und es gibt bestimmte Orte, die man nicht besuchen sollte, erklären der katholische Priester Julien Razanadrakoto und Fidi Andrianaivo einstimmig.
Drittärmstes Land der Welt
Madagaskar ist eine relativ unbekannte Insel. Die politische Lage ist immer wieder instabil. Eine touristische Infrastruktur fehlt vollkommen. Kenner schätzen die Fauna und Flora Madagaskas. Viele der Tiere und Pflanzen sind "endemisch" - das heisst, sie kommen nur auf Madagaskar vor, sonst nirgendwo auf der Welt.
Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung der Insel leben unterhalb der Armutsgrenze. Die politischen Umstände der vergangenen 30 Jahre -vor allem die Zeit unter Präsident Didier Ratsiraka, dem Führer der "Sozialistischen Revolution" - haben die Insel vor der Südostküste Afrikas zum drittärmsten Land der Welt gemacht.
Mehr zu Madagaskar in oe1.ORF.at:
Die Langsamkeit des Seins
La Grand Ile
Inselflora in Gefahr
Die Einzigartigkeit der Lemuren
Hör-Tipp
Tao, Samstag, 6. Jänner 2007, 19:05 Uhr
Link
Wikipedia - Madagaskar