Träumen Androiden von elektrischen Schafen?

Blade Runner

Erinnerungen, die Sie an Ihre Kindheit und Ihr Heranwachsen haben? - Ach was! Die wurden in Ihr Gedächtnis eingespielt. Das hat alles einer unserer Memory-Designer entworfen, der sich einen Spaß daraus gemacht hat.

"Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ - Der Roman mit diesem wunderlichen Titel wurde weltberühmt. Freilich erst nach dem Tod des Autors und unter einem anderen Namen: "Blade Runner“.

Als 1981 Ridley Scotts Verfilmung des Romans von Philip K. Dick in die Kinos kam, geriet er nicht nur zu einem phantastischen Kassenerfolg. Der Streifen wurde umgehend auch zum Kultfilm und zu einem der "Besten aller Zeiten“ gekürt. Auf den einschlägigen Listen, die Filmmagazine gern publizieren, findet er sich regelmäßig.

Hauptfigur darin ist der Androidenjäger Rick Deckard. Seine Aufgabe: eher harmlose, künstlich erzeugte Menschen zu eliminieren. Die wollen sich eigentlich nur unter die normalen Menschen mischen und ihr bescheidenes Dasein fristen, jedenfalls im Roman. Der Film stemmt die Androiden dann zu kraftvollen Übermenschen hoch, samt diversen übernatürlichen Fähigkeiten - was auch ihre Gefährlichkeit ausmacht und die Vernichtung begründet.

Philip K. Dicks Roman benötigt dergleichen nicht. Da sind die Androiden recht normal und nicht sehr wehrhaft. Sie verstecken sich bloß. Ihre Zerstörung erfolgt unspektakulär, sobald Deckard sie gefunden hat. Zu zerstören sind sie indes da und dort.

Ob er nicht Gewissensbisse habe, die künstlichen Menschen zu "ermorden“, wird Rick Deckard, der "Blade Runner“, im Roman gefragt. "Nein“, sagt er, "warum? Das sind Maschinen, und ich schalte sie bloß aus. Haben Sie Gewissensbisse, morgens Ihren Haarfön auszuschalten?“

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Prompt verliebt sich der Jäger ein wenig in eines der androidischen Geschöpfe, im Film ebenso wie im Roman. Zudem hält er sich privat ein androidisches Haustier (daher der Titel "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“), das ihm nicht weniger ans Herz gewachsen ist als unsereinem unser Kater Burli, Murli oder Mick.

Die Geistes- und Literaturgeschichte ist ja nur so bevölkert von künstlichen Menschen, von Anbeginn an, und sie alle unterscheiden sich recht nachhaltig von Haarföns.

Genau gesagt: Von Anbeginn an nicht. Interessanterweise finden sich in den frühesten literarischen Erzeugnissen der Menschheit keine von Menschenhand geschaffenen Menschen. Weder treten sie im "Gilgamesch“, noch im Alten Testament noch im "Ägyptischen Totenbuch“ auf - den drei Büchern, in denen sonst alles schon steht, was vermeintlich erst später folgte.

Aber mit den Griechen geht’s los: Prometheus und Pygmalion. Es folgen der alchimistische Rabbi Löw und sein Golem. Der Homunculus, der sogar Goethe beschäftigte. Mary Shelleys Dr. Frankenstein und sein Geschöpf aus Leichenteilen, unglücklicherweise mit dem Gehirn eines Verbrechers. Die zum Leben erwachende Olimpia des E. T. A. Hoffmann samt ihrer Vertonung durch Jacques Offenbach. Pinoncchio mit der langen Nase. Und viele andere.

Wer dabei was ist, ist leider oft unklar. Bei E. T. A. Hoffmann weiß der arme Nathanael oft nicht, ob nun Olimpia die Puppe und seine Verlobte Clara ein Mensch sei - oder ob nicht umgekehrt Clara die Puppe und Olimpia die Fleisch gewordene Anmut und das Ziel seines Sehnens darstellt.

Gemeinsam ist den künstlichen Menschen auch, dass sie meist schrecklich zu Tode kommen - kommen müssen, weil die Existenz des "Anderen“ die Menschen zu sehr erschreckt, wie wir wissen.

So auch bei Philip K. Dick. Aber auch da ist sich der Androidenjäger Rick Deckard nicht ganz sicher, ob er nicht selbst ein Androide ist. Dafür gibt’s Indizien, die er lieber nicht zur Kenntnis nimmt.

Man kann sich ja wirklich nie sicher sein. Wie ist das mit Ihnen? Ja, genau, exakt mit Ihnen?

Ich sage: Sie sind gar kein Mensch. Sie wurden nicht von einer Mutter geboren. Sie wurden in einer Fabrik hergestellt und vom Fließband in die Welt entlassen. Erinnerungen, die Sie an Ihre Kindheit und Ihr Heranwachsen haben - ach was! Die wurden in Ihr Gedächtnis eingespielt, so wie man Texte, Bilder, Filme auf die Festplatte eines Computers spielt. Sie unterscheiden sich nicht von "wirklichen“ Erinnerungen? Das ist eben der Trick daran. Tatsächlich haben wir uns das alles ausgedacht und in Ihr Gehirn kopiert.

Alle ihre Erlebnisse und Erfahrungen, die guten wie die schlechten, die Höhe- wie die Tiefpunkte - das hat einer unserer Memory-Designer entworfen und zusammen gestellt, der sich einen Spaß daraus gemacht hat.

Können Sie das Gegenteil beweisen? Können sie wirklich nachweisen, wer Sie sind - und sei’s nur für sich selbst?

Und seien Sie vorsichtig! Sie könnten ein Fall für Rick Deckard sein. Der Jäger ist unter uns.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Dienstag, 2. Jänner 2007 bis Donnerstag, 4. Jänner 2007, "Die Anmaßung des Prometheus", jeweils 9:05 Uhr

Mehr dazu in Ö1 Programm

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendereihe "Radiokolleg" (mit Ausnahme der "Musikviertelstunde") gesammelt jeweils am Donnerstag nach Ende der Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Philip K. Dick, "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?", Haffmans Verlag, ISBN 3251300199

Link
Internet Movie Database - Blade Runner