Retter, Populist, Showman

Hugo Chavez

Seit mehreren Jahren regiert Hugo Chavez Venezuela. Der Offizier ist angetreten, die bolivarische Republik völlig neu zu gestalten. Seinen Werdegang hat der Lateinamerika-Experte Christoph Twickel in seiner Biografie aufgezeichnet.

Retter der Armen oder linker Populist oder gar der Putin Venezuelas - groß ist die Zahl der Bezeichnungen für Venezuelas Staatschef Hugo Chavez. Seit 1999 regiert der Mann mit dem roten Barett demokratisch legitimiert das südamerikanische Land. Der Offizier ist angetreten, die bolivarische Republik völlig neu zu gestalten und mit einer Reihe von Missionen vor allem die Ärmsten zu unterstützen.

Putschversuch Auslöser für Chavez-Mania

Um halb eins reißen Gewehrsalven die Anwohner des Regierungsviertel Casoneta aus dem Schlaf. Um zehn vor eins unterbrechen die Radio und Fernsehsender ihr Programm: Eine Gruppe aufständischer Soldaten hat den Regierungspalast Miraflores angegriffen.

Mit jenen dramatischen Ereignissen vom 4. Februar 1992 beginnt Christoph Twickel seine Biografie über den Präsidenten. Eine Gruppe von Offizieren der venezolanischen Armee versucht den amtierenden Präsidenten Carlos Andrés Pérez aus dem Amt zu putschen. Als Anführer des Militäraufstands wird ein gewisser Hugo Chavez ausfindig gemacht. Sein Putsch scheitert.

Der 1954 geborene Oberst aus Sabanete, einem kleinen Dorf am Fuße der Anden, wird zur Mittagsstunde vor die Kamera geführt. Ganz Venezuela sieht diese Sondersendung. In dem südamerikanischen Karibikstaat sind Putschversuche selten. Seit 1958 regiert ein gewähltes Parlament. Venezuela gilt in den USA und Europa als lateinamerikanische Musterdemokratie.

Um größeren Schaden zu vermeiden, will man den Aufständischen eine Botschaft via TV zu kommen lassen. Kommandant Hugo Chavez soll sie zum Niederlegen ihrer Waffen auffordern. Was er auch tut.

One Minute of Fame
Der Fernsehauftritt des 37-Jährigen dauert eine gute Minute. Der übermüdete Rebell wirkt nicht wie ein typischer lateinamerikanischer Schlägertyp, nicht wie ein Anführer eines faschistoiden Coups, wie die Regierung dem Publikum weismachen will. Er ist höflich, er spricht freundlich und anerkennend über seine Kameraden. Und er übernimmt die volle Verantwortung für das Scheitern des Putsches. Es ist diese eine Minute, schreibt Christoph Twickel, die die Grundlage für Chavez' politische Karriere legt. Eine Minute, die aus einem geschlagenen, übernächtigen Putschisten einen Star macht, eine Ikone, einen Volkshelden.

Während die bürgerlichen Medien den Aufstand der jungen Kommandeure als Putschversuch gegen die Demokratie verurteilen, beginnt in den Barrios, den Armenvierteln von Caracas, die Chavez-Mania.

Soundtrack des Siegers
Chavez geht nicht, er ist ein guter Präsident, darum wird er bleiben, das Volk ist zufrieden und voll des Glücks, sang die Grupo Madera vor zwei Jahren. Der Song zum Referendum, bei dem der Präsident die Vertrauensfrage gestellt hat, ist auch im aktuellen Wahlkampf in Spots und an den roten Pro-Chavez-Info-Ständen im ganzen Land zu hören.

Die Geschichte dieses enfant terrible zu schreiben, so Biograf Twickel, sei ein Unterfangen, das nicht ohne Fallstricke zu haben sei. Seit seiner Machtübernahme im Februar 1999 ist Venezuela ein gespaltenes Land.

"Bolivarische Revolution" nennt Chavez sein reformistisches Projekt mit Bezug auf den südamerikanischen Unabhängigkeitshelden Simon Bolivar. Die Regierung hat den einstigen Eliten des Landes die Hegemonie über die Staatsraison genommen, aber nicht unbedingt ihre wirtschaftliche, institutionelle und mediale Macht.

Der Machtkampf zwischen den alten und neuen Klassen ist gepflastert mit realen und erfundenen Verschwörungen, die auseinander zu halten nicht einfach ist. Seine Gegner tendieren dazu, über Diktatur und Despotismus zu klagen, wo immer die Revolution ihre Privilegien beschneidet. Chavez selbst und die Seinen tendieren dazu, die Tentakel des US-Imperialismus zu wittern, wo immer bürgerliche Kritiker auf den Plan treten.

Begnadeter Selbstdarsteller
Der nordamerikanische Imperialismus mache verzweifelte Versuche, sein System der hegemonialen Herrschaft zu konsolidieren. "Wir dürfen nicht zulassen, dass das geschieht", wetterte Hugo Chavez im Oktober vor der UN-Vollversammlung. Er ist ein begabter Showman und Selbstdarsteller, dem es hörbar Spaß macht, US-Präsident George W. Bush als Teufel zu bezeichnen.

"Ein Präsident spielt Che Guevara" titelte das deutsche Magazin "Geo" einmal abfällig über ihn. Oder ist er gar der venezolanische Putin, wie es in der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" zu lesen stand. Er könne gar nicht umsetzen, was er predige, sagen bürgerliche Kritiker. Die Rhetorik und die politische Realität seiner Revolution fallen auseinander, analysiert Christoph Twickel in seiner 350-Seiten Biografie. Kritiker von links entlarven ihn als bonapartistischen Herrscher, der die Bourgeoisie rettet, indem er die Marginalisierten an sich binde. Hugo Chavez sei demnach ein Blender oder ein Träumer. Autor Twickel findet in Chavez' Biografie keine Anhaltspunkte, dass der Comandante nicht an das glaube, was er verkünde.

Wenn es eine Konstante in seinem Leben gibt, dann ist es sein unerschütterliches Vertrauen darin, die Ziele, die er sich gesetzt hat, auch erreichen zu können. Wahrscheinlich ist er also ein Träumer.

Schwammiges Konzept
Die Frage muss folglich lauten. Wovon träumt er? Wenn schon nicht davon, die Armut ganz abschaffen zu können, so doch davon, den Armen Macht zu geben. Mit den Maßnahmen zur Alphabetisierung, zur schulischen und universitären Weiterbildung, zur Gesundheits- und Lebensmittelversorgung etc. hat sich Chavez die Popularität in den Armenvierteln der Städte gesichert.

Es sei aber noch nicht entschieden, so Twickel, ob seine Reformen und Sozialprogramme in einer Umwälzung münden oder in einem Wohlfahrtsstaat, dessen Wohl vom Ölpreis abhängt. Der Status der von ihm ausgerufenen Revolution sei vorläufig und uneindeutig. Auch der von Chavez ausgerufene Sozialismus des 21. Jahrhundert kommt für die meisten politischen Kommentatoren als schwammiges Gebilde daher.

Hugo Chavez hat in den letzten acht Jahren sämtliche Wahlen gewonnen. Er hat einen Putschversuch überstanden, und einige Verschwörer wie den oppositionellen Medien-Tycoon Gustavo Cisneros mundtot gemacht. Der Kandidat der Opposition für die Präsidentenwahl am 3. Dezember 2006, Manuel Rosales, hatte außer "Chavez muss weg" wenig Programmatisches zu bieten.

Perfekter Showman
Christoph Twickels umfangreiche und zugleich spannende Biografie macht deutlich, warum Chavez dermaßen fest im Sattel der Macht sitzt und warum das auch in naher Zukunft so bleiben wird. Bei aller Kritik an seinem bolivarisch-revolutionären Projekt ist ihm zumindest eine Revolution perfekt gelungen: die der Talkshow. Jeden Sonntagvormittag spielt Hugo Chavez den Talkmaster in seiner Show "Aló Presidente".

Anhänger wie Gegner sehen zu, wenn der Präsident von wechselnden Orten die Schönheit der Heimat und seine Politik preist und die Opposition und natürlich die USA geißelt.
Ein politischer Amtsträger als Gastgeber einer Fernsehshow - ein Novum, um das ihn sogar sein Freund und Unterstützer Fidel Castro beneiden wird. Und so lange wie die berüchtigten Reden des maximo lider dauert auch "Aló Presidente". Nach durchschnittlich fünf Stunden entlässt der Comandante sein Publikum gerne auch mit kurzem Lied, in jedem Fall aber mit obligaten revolutionären Grüßen.

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Hör-Tipp
Hörbilder, 19. Juli 2008, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Christoph Twickel, "Hugo Chavez", Edition Nautilus