"Big Brother Awards 2007" verliehen
Lauscht da jemand?
Das Vordringen der Überwachung in öffentliche und private Bereiche geht weiter: Von Bundestrojaner über Vorratsdatenspeicherung bis zu videobewehrten Mistkübeln reichte die Bandbreite der für den "Überwachungspreis" nominierten Projekte.
8. April 2017, 21:58
Gleich zu Beginn der "Big Brother Awards"-Gala im Rabenhof heizte die Power-Metal-Band Ecliptica dem Publikum kräftig ein. Geladen hatten "quintessenz - Verein zur Wiederherstellung der Bürgerrechte im Informationszeitalter", der Verein für Internet-Benutzer und die Linux User Group. Der Andrang war groß, trotzdem waren bei der Bekanntgabe der unrühmlichen Gewinner heuer wenig Buh-Rufe zu hören. Ist das Publikum schon so abgebrüht angesichts der wöchentlichen Ankündigung neuer Überwachungsmaßnahmen? Oder waren alle ein bisschen eingeschüchtert?
Beim Eingang zum Theater mussten die Gäste bereits ihre Taschen scannen lassen und ihre Fingerabdrücke abliefern - bewacht von Kameras. Im Saal wurden die Besucher von zwei Herren in schwarzen Anzügen, schwarzer Sonnenbrille und Knopf im Ohr beobachtet. Das Fürchten könnte einem kommen - aber zum Glück ist das ja alles nur Show. Oder doch nicht?
Der Trend gehe in Richtung Überwachung großer Bevölkerungsgruppen oder gar der gesamten Bevölkerung, so Adrian Dabrowski, Obmann des Vereins quintessenz. Als Beispiel nennt er die Bildungsevidenz, mit der das Verhalten in der Schule zentral gespeichert werden soll, oder die Vorratsdatenspeicherung - also die Speicherung von Telekommunikationsdaten aller Bürger für den Fall, dass irgendwer einmal verdächtig werden könnte.
Schnittstellen für die Spionage
Die technischen Voraussetzungen für die Überwachung der Telekommunikation in ganz Europa schafft das technische Komitee "Lawful Interception" des European Telecom Standards Institute (ETSI). Dieses Komitee stellt die Anforderungen von Polizei und Justiz für die Überwachung fest und gießt sie in technische Standards, die für alle Telekom-Geräte-Hersteller verbindlich sind. Derzeit wird an den Standards für die Vorratsdatenspeicherung gearbeitet.
Beteiligt sind daran laut "Big Brother Awards" der holländische Geheimdienst PIDS, der britische Geheimdienst MI5, das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz, die mit dem US-Militär eng verbundene Firma Verisign und zwei auf Telekom-Überwachung spezialisierte israelische Firmen. Stellvertretend für dieses brisante Komitee erhält dessen Vorsitzender Peter van der Arend von der niederländischen KPN den "Big Brother Award" in der Kategorie "Behörden und Verwaltung".
Roadmovie der anderen Art
Überwachung ist die Lösung für alle Probleme, scheinen viele zu denken. Heinrich Frey, Obmann der Wiener Taxi-Innung, lud Anfang dieses Jahres, wenige Tage nach der Beerdigung eines im Dienst ermordeten Taxifahrers, zu einer Informationsveranstaltung über Videoüberwachung im Taxi. Heinrich Frey wurde dafür mit dem "Big Brother Award" in der Kategorie "Business und Finanzen" ausgezeichnet - als Beispiel für das Vordringen der Überwachung in ganz private Bereiche.
Zwei Minister ausgezeichnet
Mit besonderer Spannung wird jedes Jahr die Preisverleihung im Bereich Politik erwartet. Heuer waren unter anderem Bildungsministerin Claudia Schmied für die "Behübschung" der Bildungsevidenz, Innenminister Günther Platter für den so genannten Bundestrojaner und der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig für die Idee einer Videoüberwachung von Mistkübeln im Gemeindebau nominiert. Weil die Nominierung eine kleine Abschwächung der Bildungsevidenz zur Folge hatte, wurde der Preis an die Bildungsministerin verliehen, aber dann doch "in Evidenz" gehalten.
Innenminister Günther Platter geht aber natürlich nicht leer aus. Als Innenminister hat er ja sozusagen ein Anrecht auf einen "Big Brother Award". Er wurde heuer bei der Volkswahl mit großer Mehrheit zum Sieger gekürt.
Etwas ungewöhnlich ist die Wahl des Preisträgers in der Kategorie "Kommunikation und Marketing" ausgefallen: Der Große Bruder aus Beton ging an den Erfinder und Autor der Fernsehserie "C.S.I.", Anthony E. Zuiker.
Rainer Nikowitz vom "Profil" hatte bei den "Big Brother Awards" die Aufgabe, jenen Glücklichen zu nennen, der den Preis für sein Lebenswerk erhält. Nikowitz kam in einer Kolporteurs-Jacke der "Kronen Zeitung" auf die Bühne, und damit war schnell klar, wer den Preis erhält: Hans Dichand.
Karl Korinek - Defensor Libertatis
Der einzige Positiv-Preis der "Big Brother Awards", der "Defensor Libertatis", ging an den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Karl Korinek, der im September vor einem Abrutschen in den totalen Überwachungsstaat nach DDR-Manier gewarnt hatte.
Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 28. Oktober 2007, 22:30 Uhr
Links
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