Parallelen zum Primatenverhalten
Der Affe in uns
Der Mensch ist ein Affe. Im emotionalen Leben und in den sozialen Beziehungen sind wir Menschen nicht sehr verschieden von den Menschenaffen. Das behauptet der Niederländer Frans Waal, einer der bekanntesten Primatenforscher der Welt.
8. April 2017, 21:58
Mit Büchern wie "Der gute Affe", "Wilde Diplomaten" und "Der Affe und der Sushi-Meister" hat sich Frans Waal als Spezialist für populäre Sachbücher erwiesen, die leichte Lesbarkeit nicht mit Trivialität erkaufen und der Gefahr widerstehen, die Tier- beziehungsweise Affenwelt zu romantisieren.
Sein neues Buch "Der Affe in uns" erforscht die "faszinierenden und erschreckenden Parallelen zwischen dem Primatenverhalten und unserem eigenen".
Eifersucht und Hilfsbereitschaft
Jimoh ist eifersüchtig. Er hat den Verdacht, ein Heranwachsener habe Sex mit seiner Partnerin. Jimoh macht sich auf die Suche nach ihm, findet ihn und beginnt, ihn zu jagen. Der Rivale schreit und bekommt Durchfall vor lauter Angst. Jimoh aber läßt nicht locker, erst als Beobachter der Szene aus Protest einen ohrenbetäubenden Lärm machen, bricht er die Attacke ab, "mit einem nervösen Grinsen im Gesicht". Ihm wird klar, die anderen würden sich mit dem Schwächeren solidarisieren und einen Kampf nicht zulassen.
Kuni findet eines Tages einen Star, der gegen eine Glasscheibe geprallt ist. Sie stellt ihn wieder auf die Füße, doch er bewegt sich nicht. Sie wirft ihn hoch, aber er fliegt nicht. Sie klettert in den Wipfel des höchsten Baums, spreizt die Flügel des Vogels und schickt ihn auf die Reise - doch er kommt nicht weit. Da klettert Kuni wieder herunter vom Baum, nimmt den versehrten Vogel in ihre Obhut und pflegt ihn solange, bis er wieder fliegen kann.
Einfühlungsvermögen und Altruismus
Kuni und Jimoh sind Affen im Zoo, Menschenaffen. Zwei Beispiele, die belegen, dass Tiere soziales Verhalten kennen, Einfühlungsvermögen und Altruismus, Gemeinschaftssinn und Gerechtigkeitsempfinden; dass sie egoistisch und grausam, aber auch fürsorglich und liebevoll sein können - und dass Empathie nicht, wie oft angenommen, ein ausschließlich menschliches Privileg ist.
Faszinierende Parallelen
"Der Mensch ist ein Affe. Im emotionalen Leben und in den sozialen Beziehungen sind wir nicht sehr verschieden von den Menschenaffen. Psychologisch sind wir ganz vergleichbar mit den Menschenaffen", so Frans de Waal.
"Der Affe in uns": So nennt de Waal sein neues Buch, das von Kuni, Jimoh und anderen Menschenaffen erzählt. Der Niederländer ist einer der bekanntesten Primatenforscher der Welt, lebt und lehrt seit vielen Jahren in den USA. Sein neues Buch erforscht die "faszinierenden und erschreckenden Parallelen zwischen dem Primatenverhalten und unserem eigenen".
Primatenverhalten dominiert den Menschen
"Was ich sagen will in dem Buch ist, dass es wichtig ist zu sehen, wieviel von dem menschlichen Verhalten, das wir kennen, Primatenverhalten ist: vielleicht drei Viertel davon. Das hat eine viel ältere Evolutionsgeschichte, als man denkt", so Waal.
"Von den Millionen Seiten, die im Lauf der Jahrhunderte über die menschliche Natur geschrieben wurden, sind keine so düster wie die aus den letzten drei Jahrzehnten - und keine so falsch", schreibt Frans de Waal am Beginn seines Buchs. "Wir lesen dort, dass wir egoistische Gene hätten, dass menschliche Güte nur Heuchelei sei und dass wir uns lediglich moralisch verhalten, um andere zu beeindrucken", sagt der Forscher, und zitiert Autoren wie Robert Ardrey und Richard Dawkins, Michael Ghiselin oder Richard Wrangham, die Bücher schrieben mit Titeln wie "Das egoistische Gen", "Dämonische Männlichkeit" oder "Der Mensch als Jäger": Wir seien "Kinder emporgekommener Affen, nicht gefallener Engel", heißt es da, Nachfahren mörderischer "Killer-Affen" und tief in unserem Inneren gewalttätig und amoralisch. Was der "menschlichen Kriegführung vorausging und ihr den Weg ebnete", sei "schimpansenähnliche Gewalt".
Das gute Erbe der Affen
"Mit Konrad Lorenz hat das angefangen, dass man sagt, alles, was schlecht ist am Menschen, Aggressivität, Genozide usw., das ist tierisches Verhalten, das sind unsere Instinkte, das ist unsere Biologie. Und alles, was gut ist am Menschen, das Altruistische, Religion vielleicht, Moralität, das kommt von uns, das haben wir selbst erfunden" erläutert der Autor.
"Was ich sage, steht dazu im Kontrast: Ich sage, ja, es ist wahr, dass unsere Aggressivität, unsere Territorialität usw. biologisch ist, aber auch die guten Sachen, wie Moralität, Empathie, Kooperation sind tierische Verhaltensweisen. Nicht nur das Schlechte, auch das Gute im Menschen ist ein biologisches Erbe von den Affen."
Kurzweilig mit Tücken
"Der Affe in uns" ist ein flott geschriebenes, äußerst kurzweiliges Buch, das von dem reichen Erfahrungsfundus eines leidenschaftlichen Primatenforschers profitiert. Frans de Waal kennt eine Menge verblüffender Anekdoten, und er versteht es, sie spannend zu erzählen. Ob er aber etwas revolutionär Neues mitzuteilen hat, steht auf einem anderen Blatt.
Jene Evolutionsbiologen, die in de Waals Augen ein völlig haltloses, düster-animalisches Menschen- und Affenbild zeichnen und Zielscheibe seiner Angriffe werden, verkörpern nicht unbedingt den Stand der aktuellen Diskussion. Auch die Vergleiche zwischen Menschen- und Affengesellschaft liefern oft nicht mehr als hübsche Pointen.
"Warum wir sind, wie wir sind": Diese Einsicht zu vermitteln verspricht Frans de Waals Buch im Untertitel. Aber erklärt uns das Verhalten von Kidogo, Kuni oder Jimoh, warum wir viel grausamer, aber auch viel liebevoller als sie sein können? Wir warten auf Frans de Waals nächstes Buch.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:45 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung "Kontext" jeweils nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
Frans de Waal, "Der Affe in uns. Warum wir sind, wie wir sind.", aus dem Amerikanischen von Hartmut Schickert, Carl Hanser Verlag, ISBN: 3446207805