Traditionen einer einstigen Kulturmetropole

Jüdische Musik in Czernowitz

Die jüdische Bevölkerung der Bukowina ist auf 1,1 Prozent geschrumpft, doch ihre musikalischen Traditionen werden wieder gepflegt. Sie hatte wesentlichen Anteil daran, dass sich die Hauptstadt Czernowitz zu einer Kulturmetropole entwickelt hatte.

Lev Feldmann über das Jüdische Orchester

Die Bukowina, das "Buchenland", im äußersten Westen der heutigen Ukraine gelegen, kam 1775 zu Österreich. Deutschsprachige Siedler wurden mit Vergünstigungen in das hauptsächlich von Polen, Ukrainern und Rumänen bewohnte Land geholt, aber auch Juden waren willkommen. Sie wurden den anderen Bevölkerungsgruppen gleichgestellt und hatten wesentlichen Anteil daran, dass sich die Hauptstadt Czernowitz zu einer weltoffenen Kulturmetropole entwickelt hat.

Heute ist die jüdische Bevölkerung zwar auf 1,1 Prozent geschrumpft, doch ihre musikalischen Traditionen werden wieder gepflegt und weiterentwickelt.

Jüdisches Orchester in Czernowitz

"Der Gedanke, ein jüdisches Orchester zu gründen, kam mir, als ich zufällig bei einem Konzert war, das ein jüdisches Ensembles aus Wien hier in Czernowitz gegeben hat", erinnert sich der Initiator und Leiter Lev Feldmann, der auch als Lehrer an der Städtischen Musikschule unterrichtet. "Ich habe mir damals gedacht: Warum bin ich als Jude nicht im Stande, auch in Czernowitz etwas Ähnliches zustande zu bringen? Es war mir peinlich und so habe ich das Orchester gegründet."

Heute besteht das 2001 gegründete Jüdische Orchester von Czernowitz aus 15 Musiker, die verschiedenen ethnischen Gruppen der Bukowina angehören: Polen, Ukrainer, Russen, Rumänen und Juden. Sie knüpfen bewusst an die multikulturellen Traditionen ihrer Heimat an, deren Niedergang mit dem Ende der Habsburger Reiches begonnen hat.

Der Ukraine zugeschlagen

Die Bukowina kam 1918 zu Rumänien und 1940 marschierten sowjetische Truppen ein, denn im Hitler-Stalin Pakt wurde die Nordbukowina mit Czernowitz der Sowjetrepublik Ukraine zugeschlagen. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion übernahmen jedoch auch hier die Nationalsozialisten die Macht.

Zehntausende Czernowitzer Juden wurden ins Exil gezwungen, fielen Massenerschießungen zum Opfer oder wurden in Konzentrationslager gesperrt.

KZ-Überlebender Josef Oehlgießer

Zu den Überlebenden gehört der heute 77-jährige Josef Oehlgießer. Er war Chirurg und Maler, Konzertmeister, Lehrer für Klavier und Musiktheorie an der Musikhochschule Czernowitz, Pianist und Komponist. 1999 wurde er mit der Goldenen UNESCO-Medaille und dem Ehrenprädikat "Goldener Name der Weltkultur" ausgezeichnet.

Josef Oehlgießer wurde am 29. Dezember 1929 in einem Dorf nahe Czernowitz geboren, als zweites und letztes Kind einer jüdischen Tischlerfamilie. 1940 wurde er zuerst in ein 300 Kilometer entferntes Getto verschleppt und kam dann in das Konzentrationslager im Dorf Marjanovka, wo er 1944 von den sowjetischen Truppen befreit wurde.

Stalins Kampange gegen "Zionisten"

Die Schrecken für die Juden der Bukowina waren jedoch mit der Nazi-Zeit nicht zu Ende. Gegen sie richtete sich auch Stalins Kampange gegen "Zionisten" und "wurzellose, antipatriotische Kosmopoliten".

1949 wurde das Jüdische Theater und andere Kultureinrichtungen geschlossen, darunter auch das Jüdische Haus. Errichtet wurde es, als die Bukowina zum Habsburger-Reich gehörte und war das Zentrum der großen jüdischen Gemeinde bis diese durch den Holocaust fast eliminiert wurde. Erst seit einigen Jahren kann es wieder für Veranstaltungen genutzt werden - unter anderem für Konzerte des 2001 gegründeten Czernowitzer Jüdischen Orchesters.

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Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 20. November 2006 bis Donnerstag, 23. November 2006, 9:45 Uhr

Links
Wikipedia - Czernowitz
Bukowina-Institut an der Universität Augsburg
czernowitz.de