Ausharren im teilweisen Chaos

Wer schreibt noch im Sudan?

Friedlich ist es im Sudan nicht, nicht einmal, wenn man die Bürgerkriegsregion Darfur ausklammert. Schließlich gilt es, im flächenmäßig größten Staat Afrikas Demokratie zu verwirklichen. Immer vorne dabei: die Schreibenden aller Sparten.

Es gibt viel zu tun in der islamischen Republik Sudan. Eines der brennenden Probleme ist die Pressefreiheit. Immer wieder liest man in diversen Online-Zeitungen von beschlagnahmten Tageszeitungen, von durchsuchten Redaktionen, von Streiks engagierter Journalisten. Und obwohl einige von ihnen nur im Ausland weiterarbeiten können, bleibt doch die "alte Heimat" Mittelpunkt ihres Lebens: Dann wird der Sudan eben von außen mit dem Neuesten aus dem Sudan versorgt.

. Im Westen ist nur ein Bruchteil der sudanesischen Schreibenden bekannt geworden, und fast alle von ihnen leben im Ausland. Einzige Ausnahme: John Oryem. Er lebt und arbeitet als katholischer Priester und Schriftsteller im Osten Darfurs.

Immer wieder gelingt es ihm in zahlreichen Kurzgeschichten, die Erfahrungen, die er selbst auf der Flucht gemacht hat, und von denen ihm seine Schützlinge erzählen, in eindrucksvoller Weise niederzuschreiben. Leider sind seine Texte bislang nicht in deutscher Sprache erschienen. Vergblich versucht er immer wieder, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Krisenregion Darfur zu lenken.

Bin Ladens Konkubine
Viel mehr an Aufmerksamkeit heimste Kola Boof ein, als sie im Sommer 2002 ihr "Diary of a Lost Girl - Tagebuch eines Verlorenen Mädchens" veröffentlichte. Der Titel ist schon eine Provokation, denn er bezieht sich auf eine 2001 im Sudan gegründete Organisation des Internationalen Flüchtlingskomitees, das "Lost Boys of Sudan" genannt wurde und sich zum Ziel gesetzt hat, Waisenjungen aus den Flüchtlingslagern an Adoptiveltern in die USA zu vermitteln – denn die Mädchen, so sagten die Verantwortlichen, würden es meist nicht in die Flüchtlingslager schaffen, weil sie direkt aus den angegriffenen Dörfern in diversen Variationen von Sklaverei verschleppt würden.

Kola Boof beschrieb sich in besagtem Tagebuch als Verschleppte: sie wäre zum Konkubinat mit Osama Bin Laden gezwungen worden, der 1996 aus dem Sudan ausgewiesen wurde. Dass sie so freizügig alle Details dieser "Beziehung" preisgab, trug ihr wütende Beschimpfungen, Fälschungsvorwürfe und eine Fatwa ein: am 26. September 2002 wurde sie von einem hohen Geistlichen des Sudan "zum Abschuss freigegeben". Im letzten Jahr durfte das Tagebuch ganz regulär in de USA als Buch erscheinen.

Leben zwischen den Welten
Weit weniger spektakulär verläuft das Leben der anderen beiden bekannten sudanesischen Autoren: Tajjib Sallich, 1929 geboren, war zunächst Lehrer, studierte später in London, und war eine Zeitlang in der arabischen Abteilung der BBC London angestellt. Dann wechselte er zur UNESCO und wurde schließlich Generaldirektor des Informationsministeriums in Katar.

Sein berühmtester Roman ist "Zeit der Nordwanderung", in dem sich ein geheimnisvoller Fremder in einem kleinen Dorf am Nil niederlässt, und viele Jahre später einem aus London Zurückgekehrten von seinem verrückten Leben in London erzählt. Tajjib Salich lebt mittlerweile in Schottland.

Leila Aboulela machte im Jahr 2000 auf sich aufmerksam: sie gewann als Erste den mittlerweile renommiertesten und hoch dotierten Literaturpreis Afrikas, den Caine. Auch sie setzt sich mit dem Kulturschock auseinander, dem doppelten Kulturschock, denn sie zeichnet das Leben muslimischer Frauen in der modernen Welt nach. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Djakarta.

Service

Tajjib Salich, "Eine Handvoll Datteln. Erzählungen aus dem Sudan", Lenos, ISBN 3857872950

Tajjib Salich, "Zeit der Nordwanderung", Lenos ISBN 385787662X

Leila Aboulela, "Die Übersetzerin", Lamuv, ISBN 3889776221

Leila Aboulela, "Der Seele Raum geben. Erzählungen", Lamuv ISBN: 3889776272

Author me - John Oryem
Kola Boof