Die Berliner Akademie der Künste

Ein Archiv als Schatzkammer

Die Bestände des Wiener Orpheus Trusts gehen dieser Tage ans Musikarchiv der Berliner Akademie der Künste. Der Trust sammelte Nachlässe vertriebener Komponisten. Dass die Sammlung nicht in Österreich blieb, bedauert auch der Leiter des Musikarchivs.

Archiv-Leiter Werner Grünzweig

Die Musikarchive der Akademie der Künste in Berlin nehmen für die Forschung in Sachen Musik des 20. Jahrhunderts einen sehr wichtigen Stellenwert ein. Es ist jenes Archiv, das dieser Tage die Bestände des Wiener Orpheus Trust übernehmen wird.

Vor zehn Jahren gründete Primavera Gruber den Orpheus Trust in Wien, den "Verein zur Erforschung und Veröffentlichung vertriebener und vergessener Kunst".

Dahinter verbarg sich umfangreiche Arbeit zwischen Wissenschaft und Kunst, zwischen Datenbank, Publikationen und Veranstaltungen.

Auflösung keine Überraschung

Zwei Jahre lang machte die Initiatorin immer wieder auf die nicht ausreichenden Subventionen aufmerksam und es war wohl auch für die staatlichen Subventionsgeber keineswegs eine Überraschung, sondern vielmehr oft angekündigte letzte Konsequenz, als der Verein Orpheus Trust vor einiger Zeit seine Auflösung kundtat.

Es gab in letzter Minute noch Versuche, die Archivbestände in andere Institutionen in Wien einzugliedern, aber es erwies sich für Gruber, dass die Akademie der Künste in Berlin die besten Voraussetzungen mitbringt, die Bestände des Orpheus Trust zu übernehmen.

"Ich glaube, dass es eine sehr gute Entscheidung war. Wir haben das Gefühl, dass unsere Bestände dort in einem Ambiente sind, das unseren Vorstellungen entspricht", so Gruber.

Archiv-Leiter aus Österreich

Notenmaterialien, Briefe, Dokumente, Nachlässe - die wertvollen, von Gruber und ihrem Team gesammelten Bestände werden in diesen Tagen an die Berliner Akademie der Künste übergeben. Diese Institution ist in sechs Sektionen geteilt: Bildende Kunst, Baukunst, Literatur, Darstellende Kunst, Film und Medienkunst sowie Musik. Jede Abteilung verfügt über ausgedehnte Archive.

Der Leiter der Musikarchive ist der seit über 20 Jahren in Berlin lebende österreichische Musikwissenschafter Werner Grünzweig: "Die Akademie der Künste ist eine Künstler-Sozietät, eine Einrichtung, wie es sie in Österreich eigentlich nicht gibt", erläutert Grünzweig.

Umfangreiches Material

Die Adresse des Hauptgebäudes der Akademie der Künste: Pariser Platz 4, mit Blick auf das Brandenburger Tor. Wer das neue, helle Gebäude betritt, ist zunächst einmal von der Architektur Günter Behnischs ein wenig gefangen genommen. Schiefe Böden und Geländer - im ersten Moment stellt sich aufgrund der ungewohnten Winkel ein wenig das Gefühl ein, man betrete ein sehr schönes, modernes, aber etwas schwankendes Schiff.

Wer sich als Forscher und Musiker für die Musik des 20. Jahrhunderts interessiert, findet in der Berliner Akademie der Künste sehr umfangreiches Material. Das hat nicht zuletzt auch mit der bewegten jüngeren deutschen Geschichte zu tun.

Schwerpunkt vertriebene Künstler

Die wichtigsten Ost- und West-Archive wurden in dieser Institution vereinigt, erläutert Grünzweig: "In Deutschland gibt es keine vergleichbare Sammlung an Nachlässen aus dem Bereich des 20. Jahrhunderts." Man habe daher weiter Nachlässe aus der ganzen Welt gesammelt. Schwerpunkt: Künstler, die während der Nazi-Zeit vertrieben worden sind. "Das ist ja genau das, was der Orpheus Trust gemacht hat - und nicht die Unterstützung gefunden hat, die er hätte finden sollen", so Grünzweig.

Grünzweig, der sich in Berlin seit über zwei Jahrzehnten auch mit dem Thema Exilmusikforschung beschäftigt, bedauert die Auflösung des Wiener Orpheus Trust: "Als Österreicher hätte ich es natürlich lieber gesehen, wenn dieses Archiv in Österreich geblieben wäre. Jedes Land soll seine eigene Geschichte aufarbeiten." Mit Gruber sind bereits gemeinsame Aktivitäten geplant, etwa die Herausgabe eines Buches, das die Geschichte des Trusts darlegen soll.

Schnabel als Komponist

Die wissenschaftliche Arbeit im Archiv, das sich in einem anderen Gebäude in Berlin Mitte befindet, hat ganz konkrete Auswirkungen auf das Musikleben, es werden Anstöße gegeben und es wird Interesse bei Verlegern, bei Musiker, bei Veranstaltern geweckt. Ein von Grünzweig genanntes Beispiel: Das neue Interesse an der Musik des Österreichers Artur Schnabel.

Hör-Tipp
Zeit-Ton, Mittwoch, 8. November 2006, 23:05 Uhr

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