Oscar Peterson, 2005

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100. Geburtstag

Oscar Peterson - der "Maharadscha der Tasten"

Er galt als einer der virtuosesten Jazzpianisten aller Zeiten. Oscar Peterson begeisterte über sechs Jahrzehnte lang das Publikum mit seiner einzigartigen Spieltechnik und Musikalität. Am 15. August jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal.

Seine Lebensbilanz kann man im Grunde nur in Superlativen ziehen. 65 Jahre lang stand Oscar Peterson auf der Bühne. Zu den 200 Alben, die er einspielte, darunter ikonische Aufnahmen der Jazzgeschichte, kamen noch etwa 400, auf denen er als Begleitmusiker zu hören war.

Wenn Oscar Peterson am Flügel Platz nahm, schien die Schwerkraft aufgehoben. Der 120-Kilo-Mann ließ seine Hände in atemberaubendem Tempo über die Tasten fliegen und entlockte dem Instrument Klangkaskaden von überwältigender Fülle. Gleichzeitig swingten seine Interpretationen so leicht und elegant, dass man unwillkürlich mitwippen musste.

Ich bevorzuge Jazz unverdünnt. Ich ziehe puren Jazz vor. Jazz ist eine vollständige Art der Musik in sich selbst.

So charakterisierte Peterson seinen musikalischen Ansatz. Und kaum jemand verkörperte diese Essenz des Jazz so wie er.

Frühe Förderung

Geboren 1925 in Montreal, wuchs Oscar Peterson in einem musikalischen Haushalt auf. Sein Vater, ein Eisenbahnschaffner und Amateurmusiker, förderte das Talent seiner Kinder. Mit sieben Jahren begann Oscar Trompete zu spielen, wechselte aber bald zum Klavier. Sein älterer Bruder war ebenfalls ein begabter Pianist, starb jedoch früh an Tuberkulose. Oscar sollte dessen Erbe antreten.

1940 gewann er als 15-Jähriger den nationalen Musikwettbewerb der Canadian Broadcasting Corporation, CDC. Ein Erfolg, der ihn zu einer folgenreichen Entscheidung ermutigte. Oscar Peterson beschloss, die Klassik bleiben zu lassen und Jazzmusiker zu werden. Zuvor galt es aber noch, den strengen Vater zu überzeugen. Der gab schließlich sein Einverständnis – unter der Auflage, dass Oscar der beste Jazzpianist werden müsste.

Durchbruch in New York

Mit 17 hatte Peterson seine eigene Radioshow. Der große Durchbruch kam schießlich 1949: Der einflussreiche Jazzimpresario Norman Granz hörte zufällig eine Liveübertragung aus der Montrealer Alberta Lounge und war elektrisiert. Er lud Peterson noch am selben Abend ein, im Rahmen der berühmten Reihe „Jazz At The Philharmonic“ an der Seite von zu einem Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall an der Seite von Ray Brown, Charlie Parker, Lester Young und Dizzy Gillespie in der New Yorker Carnegie Hall aufzutreten - der Beginn einer steilen Karriere. Später erinnerte er sich an diesen Moment:

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erleichtert ich war, dass ich in der Carnegie Hall nicht auf die Schnauze gefallen bin.

In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich Oscar Peterson zu einem der gefragtesten Jazzmusiker weltweit. Er trat mit Größen wie Ella Fitzgerald, Dizzy Gillespie und Louis Armstrong auf. Besonders prägend war seine Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Herb Ellis und dem Bassisten Ray Brown im Oscar Peterson Trio. Die telepathische Verbindung zwischen den drei Musikern setzte neue Maßstäbe.

Nach dem Austritt von Ellis 1958 nahm Peterson mit Ed Thigpen wieder einen Schlagzeuger in seine Band auf, die bis 1965 in dieser Formation bestehen blieb, wie besonders eindrucksvoll in den Alben "Night Train" von 1962 und "We Get Requests" von 1965 zu hören. Diese beiden Trios gehören bis heute zu den erfolgreichsten der Jazzgeschichte.

Oscar Peterson

Peterson verlässt 1984 die Bühne des internationalen Jazzfestivals in Montreal. Sein frühes Talent und seine Fingerfertigkeiten machten ihn zu einem der weltbesten Jazzpianisten seiner Zeit.

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Virtuoser Techniker

Petersons Markenzeichen war seine schier unglaubliche Technik. Seine Finger flogen in halsbrecherischem Tempo über die Tasten, ohne je die Kontrolle zu verlieren. Gleichzeitig verstand er es meisterhaft, Gefühl und Ausdruck in sein Spiel zu legen. "Man muss das Instrument so gut beherrschen, dass man nicht mehr darüber nachdenken muss. Erst dann kann man wirklich Musik machen", erklärte er seine Herangehensweise.

Kritiker warfen Peterson gelegentlich vor, seine Virtuosität zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Doch für die meisten Hörer war gerade diese technische Brillanz in Verbindung mit Petersons tiefem musikalischem Verständnis der Grund der Faszination. Ein Kritiker schrieb einmal: "Oscar Peterson spielt 100 Noten, wo andere Pianisten nur zehn verwenden. In den meisten Fällen aber passen die 100 genau."

Später Schicksalsschlag

Im Jahr 1993 erlitt Oscar Peterson einen Schlaganfall, der seine linke Hand stark beeinträchtigte. Doch Peterson kämpfte sich zurück und passte seinen Stil an. Bis kurz vor seinem Tod 2007 trat er weiterhin auf. Der Pianist Rudolf Buchbinder urteilt: "Seine Genialität ist auch mit einer Hand absolut befriedigend. Und es genügt."

Oscar Peterson

2005 wurde der in Montreal geborene Oscar Peterson zu seinem 80. Geburtstag mit einer Briefmarke der Kanadischen Post geehrt. "Diese Briefmarke ist eine angemessene Hommage an den großen Kanadier. Sein musikalisches Erbe ist allumfassend und Canada Post fühlt sich geehrt, sein Talent ganz Kanada und der Welt zugänglich zu machen", hieß es damals in der Presseaussendung.

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Engagement über die Musik hinaus

Neben seinem Können am Klavier beeindruckte Oscar Peterson auch als Komponist. Stücke wie "Hymn to Freedom" oder "Canadiana Suite" gehören heute zum Standardrepertoire des Jazz. Zudem engagierte er sich für die Bürgerrechtsbewegung und gegen Rassismus, den er selbst immer wieder zu spüren bekam.

Oscar Peterson erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter acht Grammys und die höchsten kanadischen Ehren. Doch am meisten bedeutete ihm die Anerkennung seiner Kollegen. Der Trompeter Dizzy Gillespie nannte ihn schlicht "the greatest pianist in jazz". Von Duke Ellington erhielt der den Ehrentitel "Maharadscha der Tasten".

Heute gilt Oscar Peterson, der am 23. Dezember 2007 im 83. Lebensjahr verstarb, als einer der einflussreichsten Jazzpianisten aller Zeiten. Seine Virtuosität, gepaart mit tiefer Musikalität, hat Generationen von Musikern inspiriert. Zum 100. Geburtstag erinnert Ö1 in einem Schwerpunkt an einen der ganz Großen des Jazz.

Text: red./Günter Kaindlstorfer