Renommierte Autoren über die Irak-Krise

"Vorwörter" zu den Midterm Elections

Der Wahlkampf für die Midterm Elections - die US-Kongresswahlen zum Repräsentantenhaus und Senat - hat auch renommierte Autoren auf den Plan gerufen. Deren Bücher haben eines gemeinsam: Die Regierung Bush kommt schlecht bis ganz schlecht weg.

T. Christian Miller zum gescheiterten Wiederaufbau

Die Midterm Elections - die US-Kongresswahlen zum Repräsentantenhaus und Senat - scheinen zu einem Referendum über das Fiasko von George W. Bush im Irak-Krieg zu werden. Diese Meinung wird nach letzten Umfragen nicht nur von der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung vertreten, sondern auch in vielen Büchern renommierter US-Autoren.

Fehler nicht mehr gut zu machen

"Es gibt keine Wundermittel. Egal, was man jetzt tut - das Ergebnis wird leider schlecht sein. Wenn die USA im Irak bleiben, dann werden weiter amerikanische Soldaten sterben, und es werden weiter Iraker in diesem ethnisch-religiösen Konflikt getötet werden, und das, obwohl die USA 140.000 Soldaten dort stationiert haben, sie können einen Bürgerkrieg nicht verhindern. Wenn wir aber morgen abziehen, dann werden jeden Tag nicht Dutzende, sondern Hunderte Iraker getötet werden."

Soweit Rajiv Chandrasekaran, Autor des Buches "Imperial Life in the Emerald City". Gemeint ist dabei die Grüne Zone in Bagdad, wo die US-Besatzungsregierung ihren Sitz hatte. Die Fehler von damals seien zum Teil der Grund für das heutige Schlamassel, meint Chandrasekaran. Und das ist ein Urteil, dem sich die meisten der anderen Autoren anschließen können. Alles hätte anders kommen können, meinen sie, wenn nur die Militäroperation, der Wiederaufbau und der politische Prozess im Irak besser geplant und ausgeführt worden wären.

Experten aus Arroganz ignoriert

Begonnen hätte alles schon lange vor dem Einmarsch, mit der Entscheidung für den Krieg - einer Entscheidung, die die Regierung getroffen habe, ohne auf den Rat von Experten zu hören, sagt auch David Corn, Autor des Buches "Hubris", das er gemeinsam mit Michael Isikoff geschrieben hat.

"Unser Buch 'Hubris' ist ja nichts anderes als ein etwas ausgefallenes Wort für Arroganz, das ist, wenn man glaubt, mehr zu wissen als man wirklich weiß, wenn man seine eigenen Annahmen und Vorurteile wichtiger nimmt als die Fakten. Diese Gruppe wollte Saddam Hussein aus vielen Gründen los werden, sie haben ihn als Bedrohung gesehen, und sie haben der CIA nicht vertraut und geglaubt, sie seien so verdammt gescheit, dass sie besser als die Experten herausbekommen können, was in der Welt wirklich vor sich geht“, betont Corn.

Bush allein schuld?

Auch wenn Verteidigungsminister Rumsfeld innerhalb der Regierung recht stark war, die Entscheidung für den Krieg hat letztlich allein Präsident Bush allein getroffen“, meint Bob Woodward, Autor des Buches "State of Denial“, in einem Interview für den TV-Sender CNN: "Bush war aus Idealismus für den Krieg. Er glaubt wirklich daran. Wie ich ihn interviewt habe, ist er von seinem Sessel aufgesprungen und hat gesagt, es ist unsere Pflicht, Menschen zu befreien“.

David Corn sieht auch andere Motive: "Bush hat ein tiefes psychologisches Bedürfnis gespürt. Wenn man den Sheriff spielen und demonstrieren will, dass in meiner Stadt Ganoven keine Chance haben, dann ist es naheliegend, dass man zuerst gegen Saddam Hussein vorgeht. Nordkorea kann man ja nicht angreifen, die würden sofort Seoul zerstören. Auch die iranische Armee ist stärker; außerdem hat der Iran bessere Beziehungen zu Europa, Russland und China." Der Autor kritisiert Bush auch, dass er bei seinen Stellungnahmen betreffend die vom CIA falsch propagierten Massenvernichtungswaffen unverantwortlich gewesen ist: "Er hat nicht überprüft!"

Die gravierendsten Fehler

Schon lang vor Kriegsbeginn habe es keinen einheitlichen Plan gegeben, sagt Chandrasekaran: "Das einzige worüber sich die Mitglieder der Regierung in Washington einig waren, war, dass die USA nicht lange im Irak bleiben wollten, dass möglichst rasch eine neue irakische Regierung gebildet werden sollte." Das Gegenteil trat ein. Als Botschafter Paul Bremer zum Zivilverwalter eingesetzt wurde, baute er nach den Worten Chandrasekarans die Grüne Zone in Bagdad zu seiner Festung aus, in der man bald wie in Amerika leben konnte. Er entließ auch die Mitglieder der alten Partei Saddams, und zwar nicht nur die Spitzenfunktionäre. Fazit: Die Verwaltung des Landes brach zusammen.

Laut David Corn sei es auch Bremer gewesen, der die Soldaten der irakischen Armee entließ: "Die Entbathifizierung und die Auflösung der Armee gelten als die zwei größten strategischen Fehler der amerikanischen Militärgeschichte. Sie haben dem Feind mit einem Schlag Hunderttausende Rekruten geliefert." Als Bremer den Auftrag erhielt, Wahlen zu organisieren, machte er aus dem ganzen Land einen riesigen Wahlkreis: "Ein weiterer Fehler", sagt Rajiv Chandrasekaran: "Die Sunniten beteiligten sich kaum noch an den Wahlen, waren daher danach endgültig von der politischen Macht ausgeschlossen. Als Rebellen wurden sie dafür immer aktiver."

Konventionelle US-Kriegsführung

Die amerikanischen Soldaten waren auch von den folgenden Widerstandsaktionen völlig überrascht. Sie mussten gegen eine Guerilla-Armee kämpfen, doch das haben sie nie gelernt. Daher setzten sie auf konventionelle Kriegsführung und griffen mit Artillerie und Kampfflugzeugen Städte und Dörfer an. Damit brachten sie aber die Zivilbevölkerung gegen sich auf.

"Einen Guerillakrieg gewinnt letztlich der, dem es gelingt, die Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen", meint Thomas Ricks, Autor des Buches "Fiasko". Das genaue Gegenteil von dem, was die US-Armee getan hat, wäre also die richtige Strategie gewesen - nämlich die Anwendung von Gewalt nur als allerletztes Mittel, stattdessen aber Kontakt mit der Bevölkerung, Einbindung der Bevölkerung, Hilfe für die Bevölkerung.

Wiederaufbau gescheitert

Genauso wenig, wie das Militär auf einen Guerillakrieg vorbereitet war, hatten sich die Zivilverwalter auf einen Wiederaufbau in großem Ausmaß eingestellt. Es entstanden riesige Projekte mit meist großer amerikanischer Firmenbeteiligung, anstatt mit kleinen Bauvorhaben die Herzen der Bevölkerung zu gewinnen.

Insgesamt sind bis jetzt schon 30 Milliarden Dollar an amerikanischer Hilfe und 20 Milliarden Dollar aus von den USA zu Saddams Zeiten gesperrten irakischen Konten in den Wiederaufbau im Irak geflossen. T. Christian Miller, Autor des Buches "Blood Money" meint dazu: "Das Traurige dabei ist, dass man kein Ergebnis des Wideraufbaus sehen kann. Und das, obwohl der Wiederaufbau des Iraks das größte internationale Hilfsprojekt ist, das die USA je in Angriff genommen hat, größer als der Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg. Kein Land hat je mehr Geld bekommen".

Wie reagiert der Präsident?

Nichts im Irak läuft also in die von der US-Regierung gewünschte Richtung. Der Wiederaufbau nicht, die Militäroperationen nicht, der politische Prozess nicht. Wie reagiert der Präsident? Dieser Frage widmet Bob Woodward sein Buch "State of Denial": "Seit langem gibt es bei ihm Hinweise auf eine Verleugnung der Realität. Jene wenigen, mit denen Bush noch redet, ist sein engster Kreis im nationalen Sicherheitsrat".

Es gebe keine Anzeichen, dass George W. Bush etwas dazugelernt hat, meint David Corn: "Auf Fehler, die er oder die Regierung gemacht haben könnte, antwortete er: 'Ich wünschte, Abu Ghraib wäre nicht passiert" oder 'Ich wünschte, ich hätte nicht so harte Worte verwendet wie: Denen werden wir’s schon zeigen!' Die Probleme im Irak sind aber viel größer als ein oder zwei dumme Aussagen des Präsidenten. Und Bushs Unfähigkeit, das anzuerkennen, ist erschreckend."

Mehr zu den US-Kongresswahlen 2006 in Ö1 Inforadio

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 7. November 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipps
Rajiv Chandrasekaran, "Imperial Life in the Emerald City", Verlag Alfred A. Knopf, ISBN 1400044871

David Corn, "Hubris", Crown Publishers, ISBN 0307346811

Bob Woodward, "State of Denial", Simon & Schuster, Audio, ISBN 0743565673

Thomas E. Ricks, "Fiasco", Penguin Press, ISBN 159420103X

T. Christian Miller, "Blood Money", Verlag Little Brown and Company, ISBN 0316166278

Links
Wikipedia - Irak-Krieg
Midterm Elections 2006