Der Frust eines "Thirtysomething"

Waldstein

Handlung hat Moritz von Uslar wenig in seinen Debütroman eingebaut, dafür hat er jede Menge cooler Sprüche, die die Befindlichkeiten der illusions- und orientierungslosen Generation der "Thirtysomethings" beschreiben, zu bieten.

Walter Gieseking, Hauptfigur in Moritz von Uslars Debütroman, erleidet die berühmte Krise der heutigen "Thirtysomethings". Schicke Wohnung in Berlin-Mitte, langjährige Beziehung, viele Bekannte, gut gehender Job als Journalist. Doch kann das wirklich schon alles gewesen sein?

Gekonnt schildert Moritz von Uslar den spießigen, gelangweilten Beziehungsalltags des Protagonisten und seiner Freundin Ellen; vom Streit um das letzte Fischstäbchen bis hin zu Giesekings Fantasien von anderen Frauen fährt er alle erdenklichen Beziehungsklischees auf.

Coole Popliteratur

Gelangweilt vom ruhigen, eintönigen Landhaus-Leben in Waldstein zieht sich Gieseking zurück ins bunte, laute Single-Leben in Berlin. Mit den alten Kumpels Milchkaffee trinken, sich mit Wodka zuschütten, noch mehr an Frauen denken und Musik hören: Alles schon einmal da gewesen von den Brandstiftern der modernen deutschen Popliteratur - Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre oder Rainald Goetz, niedergeschrieben in coolen Sprüchen, die die Befindlichkeiten einer illusions- und orientierungslosen Generation beschreiben.

"Cool" ist überhaupt das Popliteratur-Adjektiv schlechthin und das Adjektiv, das die Kritik in Zusammenhang mit Moritz von Uslars Debütroman am häufigsten gebraucht. Damit ist der 36-jährige Autor selbst jedoch gar nicht einverstanden; er hält sein Buch für eines der "uncoolsten Bücher im Moment".

Geniale Formulierungen

Das Hauptkriterium in "Waldstein oder Der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005" ist für den Autor die Sprache. Die ist artifiziell und trotzdem alltagsnah, gespickt mit Wiederholungen und Banalitäten, die teilweise Gefahr laufen, in eine Babysprache abzugleiten. Doch folgt man den Gedanken des Protagonisten Gieseking einmal bis zur Hälfte des Buches, fängt seine rockige Kunst-Sprache auf einmal an zu strahlen.

Dass bei Moritz von Uslar die Sprache über allem steht, auch über der Geschichte, ist das Dilemma des Romans. Er ist zwar voll von authentischen Großstadt-Beobachtungen und genialen Formulierungen, die man sich am liebsten ins Stammbuch schreiben lassen möchte, doch nach der Handlung sucht man lange, und schlussendlich bleibt nur ein dumpfes Nichts übrig. Das männliche Sinnieren über Frauen, Drogen und Musik nervt mit der Zeit gewaltig. Moritz von Uslar schafft es nicht, seinem depressiv angehauchten Gieseking Leben einzuhauchen. Alles Emotionale wird im nächsten Moment bis zur Lächerlichkeit verzerrt und ins Belanglose umgekehrt.

Kein Platz für Fantasie

Mit Gieseking mitzufühlen ist auf Grund der Abgeklärtheit kaum möglich. Der Roman schafft es kaum, eigenes Leben zwischen den Zeilen zu entwickeln, weil all das, was da mitschwingen könnte, direkt ausgesprochen, direkt hingerotzt wird. Und da wären wir wieder bei der Sprache von Moritz von Uslar. Sie schlägt um sich und reißt einen mit, und so ist es letztendlich schwierig, "Waldstein oder Der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005" in die Kategorien gut oder schlecht einzuteilen.

Moritz von Uslars Debüt ist ein Pop-Roman, der, obwohl die große Popliteratur-Ära schon vorbei ist, keineswegs zu spät kommt. Denn schließlich sind die 30-Jährigen von heute nicht weniger reif oder unreif als diejenigen vor sieben, acht Jahren.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Moritz von Uslar, "Waldstein oder Der Tod des Walter Gieseking am 6. Juni 2005", Verlag Kiepenheuer und Witsch, ISBN 3462036920